Donnerstag, 3. Mai 2012

Sind die Gewerkschaften noch die Vertreter der Arbeitnehmer?

 Der 1. Mai 2012 ist Geschichte und man könnte sagen: „Keiner hat’s gemerkt.“ Ausser der jährlichen Direktübertragung von der Hauptkundgebung des DGB durch den Sender Phoenix, dessen eh schon winzig kleine Einschaltquote gegen Null gegangen sein dürfte, gab es in der Presse nur die üblichen nichtssagenden, sich jedes Jahr in Form und Inhalt wiederholenden Pflichtartikel, 2010, 2011, 2012, austauschbar.

 Und die Maikundgebungen selbst? Waren sie früher einmal kraftvolle Veranstaltungen selbst in kleineren Städten, besucht von tausenden Arbeitnehmern, sind sie verkommen zu einer geschlossenen Gesellschaft von Gewerkschaftsfunktionären, Betriebsräten und Vertrauensleuten geworden, die mehr oder weniger aus Pflichtgefühl, denn aus innerer Überzeugung die rote Baseballkappe aufsetzen und mit der Trillerpfeife Empörung darstellen.

 Wo sind sie die Massen der Arbeitnehmer? Schliesslich ist es der Feiertag, und vor allen Dingen, der Kampftag der grössten gesellschaftlichen Gruppe in der Bundesrepublik, die der Arbeitnehmer. Sie haben der Gerwerkschaftsbewegung den Rücken gekehrt. Schlimmer noch, sie nehmen die Gewerkschaften nicht mehr als ihre Interessenvertretung wahr.

 Aber wie auch? Wer nimmt denn noch den Herren, hier nur beispielhaft genannt, Frank Bsirske, Verdi, Berthold Huber, IG Metall, Michael Vassiliadis, IG Bergbau Chemie Energie (BCE) und Michael Sommer, DGB, die da am 1. Mai Worthülsen in die Mikrofone brüllen, den ehrlichen Arbeirnehmervertreter ab? Wer würde noch sein Wohl und Wehe in die Hände dieser Männer legen, die immer, wenn es um gesellschaftliche Rahmenbedingungen geht, mit am Tisch der Mächtigen sitzen. Sie sitzen mit am Tisch, wenn bei Schlecker 11.000 Menschen entlassen werden oder bei First Solar 1.200 oder demnächst bei der Lufthansa einige Tausend. Sie handeln die Verträge aus, die den Arbeitnehmern fast alles nehmen und den Arbeitgebern im Grunde alles zubilligen, was sie verlangen.

 Man kann nicht, wie bei der Schleckerinsovenz kürzlich geschehen, erst der Entlassung von 40% der Belegschaft durch Schweigen und Nichtstun zustimmen, den eigenen Mitgliedern, sogar durch die Blume, von einer Klage gegen die Kündigung abraten mit der Begründung, man gefährde dadurch die restlichen Arbeitsplätze, und dann noch dem Insolvenzverwalter konstruktive Mitarbeit signalisieren, wenn der fordert, nun müsse auch der verbliebene Rest der Belegschaft seinen Teil zur Sanierung des Unternehmens beitragen. Das alles während der Bankroteur Anton Schlecker mit seinen Nobelkarossen ungehindert durch die Gegend fährt und in, ehemals, seinen Filialen den Chef spielt.

 Wo sind die Protestveranstaltungen der Gewerkschaften, wo ist die Blockade vor der Toreinfahrt der Schleckerschen Prachtvilla. Wo ist der feste Willen der Gewrkschaftsbosse, notfalls mit Streik, durchzusetzen, dass die Mitarbeiter nicht weiter geschröpft werden, bevor die Schleckerfamilie nicht auch den letzten Cent ihres Vermögens rausgerückt hat?

 Wo ist die Besetzung der zwei Fabriken von Solarstar bei Frankfurt/Oder, die verhindert, das die amerikanischen Eigentümer der Firma, Maschinen und Produktionsmittel fortschaffen, die sie mit Steuergeld in Form von Subventionen, also überwiegend dem Geld der Arbeitnehmer, angeschafft haben?

 Sommer und Konsorten sind Teil des Systems geworden. Eines Systems in dem Arbeitnehmer ausschliesslich Kostenfaktor sind, bestenfalls noch Produktionsfaktor. Spätestens als die Gewerkschaften klammheimlich die Schrödersche Agendapolitik unterstützten haben sie die letzten Reste gesellschaftlicher Relevanz hergeschenkt.

 Wer erinnert sich nicht noch an die peinliche zentrale Maikundgebung in Neu-Anspach in Hessen im Jahr 2003, als Schröder und DGB-Chef Sommer einträchtig auf dem Podium Platz nahmen. Jeder hatte mit einem Donnerwetter Sommers gerechnet und mit einem Sturm der Entrüstung, der Schröder zur Umkehr bewegen würde oder aus dem Amt jagen. Was sich ereignete war ein laues Lüftchen und ein paar Protesttrillerpfeifen als Schröder seine asozialen Thesen lang und breit verteidigte.

 An diesem Tag haben sich die Gerwerkschaften mitschuldig gemacht, an Lohndumping, an Ausweitung des Niedriglohn- und Zeitarbeitsektors.  Sie sind zumindest mitschuldig an jedem einzelnen prekären Arbeitsverhältnis in diesem Land, Sie sind mitschuldig an Armut und Perspektivlosigkeit breiter Bevölkerungsschichten. Sie sind mitschuldig, dass die allein erziehende Mutter, monatlich einmal zurArbeitsagentur gehen muss, um Aufstockung durch Hartz IV zu beantrgen, obwohl sie schon drei Jobs hat und täglich zwölf Stunden arbeitet. Sie sind mitschuldig daran, dass Kinder bei ihrer Einschulung keine Schultüte von ihren Eltern bekommen können oder dass Kinder krank gemeldet werden, wenn Klassenfahrten anstehen, weil es den Eltern nicht möglich ist, die entstehenden Kosten zu tragen. Sie tragen Verantwortung für Suppenküchen, Tafeln und Kleiderkammern.

  Die Gewerkschaften haben sich mitschuldig gemacht an der gesellschftlichen Ausgrenzung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Sie haben mitgeholfen beim Auseinanderdriften unserer Gesellschaft. Sie haben mit ihrer „staatstragenden“ Zurückhaltung bei Lohn-und Gehaltsverhandlungen mit geholfen die Arbeitnehmer immer ärmer und die Besitzer des Kapitals immer reicher zu machen. Dadurch sind sie auch mitschuldig daran, dass die ungeheure Menge an Kapital, die sich in wenigen Händen angesammelt hat, in immer schnelleren Zyklen um den Erdball kreist und durch wilde Spekulationen ungeheure Mengen von echten Werten vernichtet (leer stehende Häuser und Produktionshallen, verrottende Maschinen, an die Kette gelegt Schiffe).

 Die Gewerkschaften hätten es in der Hand, wenn nicht sie, wer dann, sich mit den Mächtigen dieser Welt anzulegen, ihnen Parolie zu bieten. Dazu müssen sich sich aber ihrer Verantwortung für die gesamte Gesellschaft bewusst werden. Sie müssen politisch werden. Dazu gehört es, sich von den Fleischtöpfen der Politik zu verabschieden, der Konfrontation nicht aus dem Wege gehen, sondern sie in den wichtigen Fragen unseres Zusammenlegens zu suchen. Das bedeutet letzten Endes, sich das Recht auf politische Streiks zu erkämpfen.

 Wollen die Gewerkschaften in Zukunft die Vertreter der Arbeitnehmerinteressen werden, dann müssen sie eindeutig Partei ergreifen. Arbeitnehmerinteressen, und damit die Interessen des grössten Teils der Bevölkerung, kann man nicht in Harmonie mit den Mächtigen erkämpfen, bei Verhandlungen in klimatisierten Räumen, bei Kaffee und Keksen oder durch wohlgesetzte Sonntagsreden am 1. Mai.

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