Mittwoch, 26. September 2012

Der Deutsche Bundestag, degradiert zu einem Schülerrat

 Laut Grundgesetz ist Deutschland eine parlamentarische Demokratie. Artikel 20, Absatz 2 bestimmt:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Klar ist  die Dreiteilung der Gewalten formuliert. Danach hat das Parlament mit seinen zwei Kammern die Gesetze und Vorschriften zu erlassen, die Regierung sie auszuführen und die Gerichte ihre Einhaltung zu überwachen.

 Kann unter den Vorgaben des Grundgesetzes, die Ratifizierung eines Vertrages durch das Parlament rechtens sein, bei dem diesem durch die Regierung, das Recht abgesprochen wurde, eben diese Ratifizierung abzulehnen?

 Die Merkelregierung, die europäische Kommission, der Eurogruppenchef Junker, der Präsident des europäischen Parlaments, der deutsche Sozialdemokrat, Martin Schulz, sie alle haben dem deutschen Parlament damit gedroht, die Märkte würden eine Nichtratifizierung des ESM und des europäischen Fiskalpaktes nicht akzeptieren. Die Eurozone, ja selbst die EU würden darüber auseinanderbrechen und die Weltwirtschaft würde in unbeherrschbare Turbulenzen geraten, was letztlich zu Hunger und Elend rund um den Globus, vor allem aber in Europa und Deutschland führen werde. Somit wurden die anonymen Märkte über das Recht der Parlamentarier gestellt, frei und unabhängig zu entscheiden. Das Parlament hatte de Facto keine Entscheidungsfreiheit mehr. Es musste nur noch den Verfahrensvorschriften, die eine Zustimmung der Parlamente erforderlich machten, zum Schein Genüge getan werden.

Paragraph 38, Absatz 1 des Grundgesetzes schreibt aber vor:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

 Diese Verträge setzen Rechte,  die von der Verfassung als existentielle Rechte des deutschen Parlaments angesehen werden, wie das Haushaltsrecht, weitgehend ausser Kraft gesetzt. Deutschland haftet immerhin mit 190 Milliarden Euro für die Kredite des ESM. Verwaltet werden diese Gelder nicht etwa vom europäischen Parlament, sondern von einem einzigen Menschen, dem Geschäftsführenden Direktor, der niemanden Rechenschaft schuldig ist und der im Rahmen seiner Tätigkeit sogar Immunität geniesst, also auch von keinem Gerichtt für etweilige Vergehen belang werden kann. Eingesetzt und abberufen wird der Geschäftsführende Direktor vom Gouverneursrat, dem Zusammenschluss der Finanzminister.

An einem Freitag Nachmittag, genauer gesagt am Freitag, den 29. Juni von 17 - 21 Uhr, ist der Bundestag zusammengekommen um über ESM und Fikalpakt zu entscheiden. Vier Stunden Zeit hat sich das Parlament für Beratung und Abstimmung, oder sollte man lieber sagen, den Vollzug, zur Änderung der Verfassung genommen. Anschliessend trat der Bundesrat zu einer Sondersitzung zusammen und nickte die beiden Verträge ebenfalls ab.

 Ursprünglich war geplant, dass der Bundespräsident die Gesetze am 30 juni unterzeichnen sollte, damit sie am 1. Juli in Kraft treten konnten. Nur weil das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten bat, seine Unterschrift noch nicht unter das Vertragswerk zu setzen, weil es noch über einen Eilantrag zu entscheiden hatte, wurde dieser Zeitplan so nicht umgesetzt.

 Allein diese Hast, von der Einbringung in den Bundestag über die Unterzeichnung durch den Präsidenten bis zur Ausfertigung und Rechtskraft, nicht einmal drei Tage, eine Beratung durch das Parlament in nicht einmal vier Stunden, zeugt von der hohen Missachtung des Bundestages, der Parlamentarier und letzten Endes der von diesen vertretenen Bürger, dem eigentlichen Souverän. Wenn man sich dann noch in Erinnerung ruft, unter welchen unwürdigen Bedingungen die erforderliche zweidrittel Mehrheit zwischen Regierung und Opposition ausgekungelt wurde, dann wundert einen die Politikverdrossenheit in diesem Lande nicht mehr. In den Hinterzimmern der Parteizentralen und der Fraktionen ging es zu wie auf einem Basar. Die Spitzenvertreter der beteiligten Fraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen versuchten im Gegenzug für die Stimmen ihrer Fraktionen, für ihre jeweilige Klientel herauszuholen, was herauszuholen war.

Im Gegensatz zu dieser Abstimmung über eine Grundgesetzänderung, zu den anderen Abstimmungen über die diversen Rettungsschirme, zur Hilfe für die Banken, oder den Abstimmungen über die Kriegseinsätze der Bundeswehr, die fast alle im Eilverfahren und unter grosser Zustimmung der Opposition zustande kamen, tut unser Parlament, tun unsere Parlamentarier sich unheimlich schwer, wenn es über die Erhöhung des HartzIV-Satzes um zehn oder acht Euro zu entscheiden gilt.

 Geradezu turbulent geht es sogar in den beiden Parlamentskammern zu, wenn es um eine Frauenquote in den Aufsichtsräten grosser deutscher Unternehmen geht.

 Nicht, das etwas zu sagen wäre, gegen mehr Frauen in den Führungsetagen deutscher Unternehmen, wegen mir auch eine gestzliche Frauenquote in den Aufsichtsräten grosser und mitbestimmter Unternehmen. Aber die Relationen, mit welchem Aufwand hier dikutiert wird, gegenüber den Diskussionen über verfassungsändernde Gesetze, stehen in keinem Verhältnis. Allein der Personenkreis, für den eine Frauenquote in Frage kommt ist marginal. Der Verband deutscher Unternehmerinnen hat seit 2009 eine Datenbank von 500 Frauen aufgebaut, die für solch einen Posten in Frage kommen. Dazu kommt, das die Aufsichtsräte mit dem unmittelbaren täglichen Geschäft der Unternehmen nichts zu tun haben.

 Aber bei dieser Entscheidung von eher untergeordneter Relevanz scheinen die Parlamentarier der Bevölkerung zeigen zu wollen, dass sie eine Daseinsberechtigung haben. Heiss wird debattiert und gestritten und von der deutschen Presse mit voller Aufmerksamkeit begleitet. Der Fernsehsender Phoenix enderte sogar sein Programm. Nur leider hatten die Redakteure nicht so ganz begriffen, worum es ging. Auf dem durchlaufenden Textband stand, dass über die Frauenquote in den Vorständen der Unternehmen debattiert würde. Man wünschte sich, dass mit gleicher Intensität über die Besserstellung allein erziehender Mütter, oder von Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen gestritten würde.

 Im Bundesrat wurde ein, Parteien übergreifender, Antrag eingebracht, dem auch CDU-geführte Länder zustimmten. Innerhalb der Koalition wurde gestritten, was an sich nichts besonderes ist. Nur ging diesmal nicht die FDP der CDU an die Gurgel, oder umgekehrt, sondern viele Frauen rebellierten gegen ihre männlichen Kollegen. Selbst die Frauenunion, für die für gewöhnlich die Diskussion über die Bedienungsanleitung der Strickliesel den Höhepunkt parlamentarischer Debattierkunst darstellt, sprach sich für eine Frauenquote aus.

 Der Parlamentarismus, als gestaltende, die Politik unseres Landes bestimmende Kraft, hat aufgehört zu existieren. Bundestag und Bundesrat stehen  in ihrer übergrossen Mehrheit, einschliesslich der Opposition, nur noch dafür bereit, die Wünsche der Merkelregierung abzunicken. Bei Dingen von geringem oder gar keinem öffentlichen Interesse reden sich unsere Abgeordneten dann die Köpfe heiss.

 Mutti Merkel hält sich ein Parlament, wie der Direktor einer Schule sich einen Schülerrat leistet, der dann in endlosen Debatten darüber befindet wer, wann, den Schulhof reinigt oder Papier aufsucht.

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