Wenn der Herausgeber der „Zeit“, Josef Joffe, die Welt erklärt, dann fühlt man sich irgendwie zurückversetzt in die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die hohe Zeit des Kolonialismus, als Weltenlenker wie der deutsche Kaiser Wilhelm II. nur einen Umgang mit den „Negern“ kannte: „Immer feste druff“.
Die „Neger“, dass sind bei Joffe heute alle Völker, die ausserhalb der willkürlich erklärten „westlichen Wertegemeinschaft“ leben. Also ebenso Russen wie Araber und Asiaten. Diese Völker haben kein Recht auf Selbstbestimmung. Für sie entscheidet der „Massa“, der immer genau weiss was für diese Völker gut ist. Bei Joffe klingt das dann so: „Irgendeine Ordnungsmacht braucht die Staatenwelt, wie wir täglich merken. Als England müde wurde, trat Amerika an seine Stelle.“ Joffe unterwirft sich gern der Ordnungsmacht, er leckt die Stiefel der Mächtigen, und profitiert davon.
Diese abgehobene Sicht, quasi von oben, aus der göttlichen Perspektive lässt Joffe die Geschichte auf eine ganz eigene Art interpretieren. Eine Sicht, die zwar nichts mit der Realität zu tun, dafür aber den grossen Vorteil hat, dass sie die Kriegstreiberei der USA, der EU und der Nato logisch und zwingend erforderlich erscheinen lässt. „Unter den tausend Gründen, welche die neue Gewalt zwischen Donezk, Damaskus und Mossul erklären, sticht einer hervor: Der Rückzug Amerikas unter Obama.“
Nicht die Agression der USA durch einen herbeigelogenen, völkerrechtswidrigen Krieg im Irak, die Bedrohung Russlands durch die, allen Zusagen widersprechende, Ausdehnung der Nato bis an die russischen Grenzen und die damit verbundene Stationierung von Soldaten, Panzern, Flugzeugen und Raketen, nicht die Versuche durch Geheimdienste und sogenannte NGO’s unliebsame Regierungen in der Ukraine, Georgien, Weißrussland und Kirgisien durch willfährige, gekaufte Marionetten zu ersetzen, nicht die Destabiliesierung des gesamten arabischen und nordafrikanischen Raumes sind Schuld an Krieg, Leid und Verwüstung, sondern der Abzug US-amerikanischer Truppen aus den von ihnen verwüsteten Ländern.
Und Joffe lügt weiter: „Man stelle sich vor, die USA unterhielten noch eine kampffähige Präsenz in Europa. Oder Europa hätte nach dem Mauerfall langsamer abgerüstet. Hätte Putin so opportunistisch nach der Krim und der Ostukraine gegriffen?“ Europa hat keineswegs abgerüstet, sondern rüstet kräftig auf. Während Russland im Jahr 2013 87,8 Milliarden Dollar für seine Rüstung ausgab, liessen sich allein die vier EU-Staaten Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland ihre Rüstung 200 Milliarden US-Dollar kosten.
Während Russland, wie oben erwähnt in 2013 87,8 Milliarden Dollar ausgab, waren es bei den USA weit über 600 Milliarden.
Gänzlich dubios werden Joffes Ausführungen, wenn er versucht eine Erklärung für die Entstehung und rasche Ausbreitung des IS zu finden: "Noch schrecklicher ist das Vakuum in der Levante. Der »Islamische Staat« ist kein Zufall, sondern Folge der amerikanischen Abkehr von Syrien und des Abzugs aus dem Irak 2011." Nicht das mutwillige Zerstören sämtlicher staatlicher Strukturen im Irak und in Syrien definiert Joffe als Ursache der Schreckensherrschaft der IS über weite Teile Iraks und Syriens, sondern den Abzug amerikanischer Truppen aus dem Irak.
Wie wendig die Zeiten und mit ihnen der Opportunist Joffe ist, zeigt, dass die als demokratisch gewählt gefeierte Regierung des irakischen Präsidenten Maliki, plötzlich zum "Maliki-Regime" und zur "Maliki-Diktatur" mutiert. Plötzlich scheint vergessen, dass die USA entgegen dem Rat internationaler Experten den Schiiten Maliki auf den Stuhl des Präsidenten des Iraks hievten. Der von den USA aus dem britischen Exil geholten Maliki, wurde von den Experten schon damals als schiitischer Saddam bezeichnet. Trotzig und in Verkennung sämtlicher Tatsachen beharrt Joffe auf seinem Standpunkt: "Wären die USA in Kampfstärke geblieben, hätten sie den IS abschrecken und Malikis Diktatur verhindern können."
Er will nicht begreifen, dass der Westen mit dem Aufstand der islamischen Welt einem Gegner gegenübersteht, der mit Waffengewalt und Repressionen nicht zu begegnen ist. Kluge Menschen, wie der kürzlich leider verstorbene Peter Scholl-Latour haben schon vor zig Jahren darauf hingewiesen, dass in der islamischen Welt eine gewaltige Anzahl junger Menschen, vor allen Dingen Männer, durch die Kolonialpolitik des Westens immer mehr radikalisiert werden. Junge Menschen, die in einer absoluten Hoffnungslosigkeit, ohne auch nur die Andeutung einer Perspektive für ihr Leben dahinvegetieren müssen. "Diese Menschen", so wurde damals schon prophezeit, "werden sich eines Tages nehmen, was ihnen vorenthalten wird."
Während der Westen sich mit dem arabischen Frühling, iniziiert von einem marginalen frustrierten Mittelstand, und der damit verbundenen Hoffnung auf eine Demokratisierung des gesamt mittleren Ostens etwas vormachte, radikalisierten sich die breiten Massen immer mehr. Diese Bewegung ist nicht durch Panzer und Raketen aufzuhalten. Wird ein Aufstand in einem Land mit hohem militärischen Aufwand und unter hohen Verlusten halbwegs niedergerungen, s. Afghanistan, Sudan, Mali usw., erhebt er sich an einer anderen Stelle um so gewaltiger und fanatischer.
Das erkennt sogar Joffe. Die, ach so gefährliche Al-Kaida, wegen der das mächtigste Militärbündnis aller Zeiten, die Nato, nun schon zehn Jahre Krieg in Afghanistan führt, und die in den USA und in Westeuropa zu den weitgehendsten Einschränkungen der Bürgerrechte seit des zweiten Weltkriegs führten, nennt Joffe heute einen "Terroristenhaufen", nicht zu vergleichen mit dem IS.
Aber was fällt Joffe nun zur Beilegung der Konflikte ein. Es sind die alten Verhaltensmuster der Kolonialisten: Wenn der Neger nicht pariert, dann muss er eben die Peitsche spüren. Eine "bedachte Eskalation" gegenüber Russland und in Syrien und dem Irak: "Die Amerikaner bomben, die Deutschen liefern den Kurden Waffen."
Zitate aus "Die Zeit" Nr. 37 vom 4. September 2014
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