Dienstag, 28. Oktober 2014

Diskussion zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichspreises an Golineh Atai - ein Panorama journalistischer Blasiertheit und Realitätsverweigerung

 Wie schön könnte doch das Leben sein, beim Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, man sieht was von der Welt, logiert in den feinsten Hotels, bezieht ein stattliches Gehalt, ist praktisch unkündbar und bezieht, nach einem erfüllten Berufsleben, ein mehr als auskömmliches Ruhestandsgeld. Leider sind da die Zuschauer, die immer höhere Ansprüche stellen, die immer umfassender und schneller informiert werden wollen.

 Zu allem Überfluss erwarten diese Zuschauer auch noch, dass diese In Formationen wertfrei, ausgewogen und sachlich richtig sind. Auch die Zuschauer selbst haben sich gewandelt, sie sitzen nicht mehr jeden Abend vor der Glotze und glauben alles was ihnen da von 20.00 Uhr bis 20.15 vorgesetzt wird. Sie besitzen die Dreistigkeit sich über das Internet selbst schlau zu machen und nutzen dieses Medium um die Lügen und Unwahrheiten aufzudecken, sich durch die Kommentarfunktionen der Senderseiten zu beschweren und das eigene Wissen zu publizieren.

 Das "Erste" hatte, anlässlich der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichspreises an seine höchst umstrittene Russlandkorrespondentin, Golineh Atai, zur allgemeinen Publikumsbeschimpfung geladen. Unter der Moderation von Inka Schneider hatten sich vier Fernsehleute, ein Kollege aus der schreibenden Zunft und ein Wissenschaftler zum allgemeinen Wehklagen versammelt:
Golineh Atai, Rußlandkorrespondentin der ARD im Studio Moskau,
Peter Frey, Chefredakteur ZDF,
Christian Neef Osteuropakorrespondent des Spiegel,
Sonia Seymour Mikich, Chefredakteurin des WDR,
Paul Siebertz, Vorsitzender des ARD-Programmbeirats,
Simon Weiß, Politikwissenschaftler und Osteuropahistoriker an Universität Heidelberg,
Moderatorin Inka Schneider:
  "Golineh", es fällt sofort auf, man ist sehr vertraut miteinander, "zur Parteinahme gedrängt und auch verführt werden, haben sie das so in der Ukraine erlebt?"

"Das ich selber, quasi Partei ergriffen habe?" Golineh Atai rechtfertigt ihre Parteinahme, ohne das sie sie zugibt, indem sie die ukrainische Opposition unisono glorifiziert als Freiheitskämpfer, die für Gerechtigkeit und Wahrheit auf die Strasse gehen und kämpfen. Sie macht keinen Unterschied zwischen Idealisten, Faschisten, zwischen Kämpfern für eine gerechtere Wirtschaftsordnung und ihre Interessen wahrenden Oligarchen, zwischen Geschlagenen und gedungenen Schlägertrupps. Alle diese und noch weit mehr unterschiedliche Gruppen, wie herbeigekarrte gescheiterte Existenzen, die den Platz füllten, Popsternchen, die sich bekannt machen wollten, vor allem im zahlungskräftigen Westen, Politiker, die alsbald den Maiden übernahmen und für ihre Zwecke missbrauchten bevölkerten den Maidan. Aus dem abgehobenen Blickwinkel vom Dach des Hotels "Ukraina" sind für Golineh Atai alle gleich. Sie schliesst alle in ihr grosses Herz:
"Ich glaube als Journalist steht man Menschen, die für Freiheit kämpfen, für Gerechtigkeit auf die Straße gehen, die Wahrheit suchen, ein neues System wollen, eine Art Grundreinigung, eine politische Grundreinigung wollen, das man immer eigentlich mit Freiheitskämpfern sympathisiert. Dabei sein ja, aber sich nicht mit ihnen gemein machen, ich glaube das ist die Gratwanderung, das ist die Herausforderung der man sich als Berichterstatter immer gegenübersteht."

 Die Frage ist allerdings, ob es angezeigt ist für die ARD, jemanden von einer so exponierten Stelle und über einen Vorgang, der Europa fast in einen Krieg geführt hätte, berichten zu lassen, der nicht differenzieren will oder kann. Im übrigen scheint Atai in den paar Tagen, die sie in Kiew war, völlig überfordert gewesen zu sein.

 Befragt nach den Arbeitsbedingungen während der Hochphase des Umsturzes in der Ukraine folgt ein elend langes Lamento: „Wahnsinnig chaotisch, also in der Phase wo es dann den Umsturz gab, wo es diese Momente der Anarchie gab, unglaublich angespannt, das Handy hat alle drei Minuten geklingelt, man musste sich ausklinken um sich sammeln zu können, um Zusammenhänge zu suchen. Die Anforderungen sind wirklich, manchmal hatte ich den Eindruck, ins unermessliche gewachsen. Zum Einen sollte ich Berichte machen, zum anderen sollte ich den Zusammenhang darstellen, dann wieder einen geschichtlichen Rückgriff machen, dann wieder darstellen, wer sind eigentlich die neuen Freiheitskämpfer, wer befindet sich in diesen Reihen. Es waren einfach, ja es war 'ne sehr, sehr schwierige Aufgabenstellung und es waren unglaubliche Anforderungen weil es sehr viele Sendungen zu bedienen gab."

Und dann diese widrigen, unerquicklichen Zustände. Nicht einmal eine gepflegte Nachtruhe war der Frau Korrespondentin des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens aus Deutschland vergönnt: "Bei uns kam noch dazu, dass wir direkt am Maidan waren. Wir haben diese Stimmung mitbekommen, die einfach emotional unglaublich überladen war. Wir hatten wenig Gelegenheit zu schlafen, weil einfach die Geräuschkulisse unglaublich war. Man schläft mit der ukrainischen Hymne ein und man wacht mit ihr auf. Man schläft mit Feuerwerkskörpern und irgendwelchen anderen Einschlägen schläft man mit ein und wacht damit auf. Es ist, sind sehr bewegende Zeiten gewesen."

 Es soll einmal Reporter, Korrespondenten gegeben haben, die bei solchen Ereignissen, die zu solchen, die Welt bewegenden, verändernden Zeiten nicht schlafen konnten, weil sie keine Minute versäumen, kein Ereignis verpassen wollten. Reporter, die ihre Profession, als solche sahen sie ihren Beruf an, über ihr eigenes Wohlbefinden stellten, um der Welt zu berichten, um Rechenschaft abzulegen. Gollineh Atai macht Urlaub in Kiew und beschwert sich beim Reiseveranstalter, dem zahlenden Publikum der ARD, über die Lautstärke in ihrem Zimmer, die sie nicht schlafen lässt, während sich vor ihren Augen die Welt verändert.

Christian Neef vom Spiegel ist da aus anderem Holz gefertigt. Er will kein Bedauern, er will Bewunderung. Bewunderung für sein tollkühnes Unternehmen mitten in den kriegerischen Auseinandersetzungen mehrfach die umkämpfte Stadt Donjezk besucht zu haben: „Deswegen bin ich eben für mehrere Wochen nach Don… ich bin seit Jahresbeginn immer wieder in Donjezk gewesen, Slavjansk, an vielen Stellen. Aber im Sommer dann wirklich mehrere Wochen zusammenhängend hingegangen, um einfach die Szene zu überprüfen, die Moskau ja, die Russland immer wieder in den Raum stellte, dass die ukrainischen Truppen ganz gezielt die Zivilbevölkerung vernichten, gezielt die Städte beschiessen. Das ist aus der Ferne natürlich überhaupt nicht zu beurteilen."

Neef von journalistischer Neugier getrieben kommt zu einem verblüffendem Ergebnis seiner Recherchen: "Es ist auch aus der Nähe nicht ganz einfach."

Natürlich nicht, sonst hätte der Spiegel ja nicht solch einen alten Hasen wie Christian Neef geschickt, denn der merkt sofort: "Aber man sieht das die These nicht stimmt."  Und das alles erkennt der Neef obwohl: "Man kann in Wirklichkeit gar nicht einschätzen, wo kommen die Granaten her." Was man aber trotzdem dann doch widerum weiß: "Es ist kein gezieltes Feuer. Man kann bestenfalls sagen, die ukrainischen Truppen nehmen in Kauf, dass ihre Geschosse möglicherweise auch zivile Gegner in der Stadt treffen.“

 Das ist grosser Journalismus: Eigentlich weiß ich gar nichts, aber ich kann ausschliessen, das die Behauptungen aus Russland stimmen. Ein Grundsatz, der über der gesamten Berichterstattung aus der Ukraine zu stehen scheint. Bezeichnend für die Geisteshaltung des Herrn Neef auch der letzte Satz:   „Man kann bestenfalls sagen, die ukrainischen Truppen nehmen in Kauf, dass ihre Geschosse möglicherweise auch zivile Gegner in der Stadt treffen.“ Zivile Opfer, - Kollateralschäden. Der Tod eines Kindes, das abgerissene Bein, das zerstörte Zuhause, nicht so schlimm, da nicht mit voller Absicht herbeigeführt, sondern nur in Kauf genommen. Und im übrigen wenig bedauernswert, da ja schliesslich "zivile Gegner", ein Begriff ist, den das internationale Recht nicht kennt, extra von Herrn Neef für seine faschistischen, ukrainischen Freunde zu deren Rechtfertigung erfunden. Es gibt den Begriff der zivilen Opfer nicht. Aber Neef führt den Krieg total, da sind auch Zivilisten Gegner.

Moderatorin Inka Schneider:
 "Sonia Mikich wie erleben sie den Druck unter dem ihre Reporter, Korrespondenten stehen?"

Sonia Seymour Mikich:
 "Ich erlebe es als Verunsicherung unter den Bedingungen von Twentyfour-Seven-Newsproduktion",
man hätte sicher auch sagen können 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche Nachrichten produzieren, aber das hätte dann womöglich jeder verstanden, aber wenn Elite sich bejammert, dann muss der Pöbel ja nicht alles verstehen,
 "im Grunde genommen in Stundentakt Updates liefern zu sollen und gleichzeitig das Gefühl zu haben, machen wir alles richtig? Können wir überhaupt alle Quellen anzapfen? Können wir auch noch die letzte Twittermeldung und den einen Informanten erreichen? Logistische Probleme eine enorme körperliche, intellektuelle Anstrengung und dann auch noch die Verunsicherung, ist das was wir liefern,- annähernd, annähernd, - nicht die Wahrheit, also von dem sollten wir uns verabschieden, aber annähernd das was ich hier sehe ordentlich eingeordnet. Sehr schwierig. Ich finde unsere Korrespondenten, alle, unendlich bewundernswert. Ich glaube, das muss ich wirklich laut sagen, sie machen weniger Fehler als wir, als ich zum Beispiel als Russlandkorrespondentin in Kriegs- und Krisensituationen gemacht habe. Sie sind tüchtig, sie sind mutig, sie sind sehr willens. Sie haben eigentlich das Beste an Lob und Unterstützung verdient."

Inka Schneider:
"Vielleicht noch ein Punkt. Geringere Taktzahl, mehr Leute, wird das diskutiert?"

Sonia Seymour Mikich:
"Ja wir haben phasenweise, hatten wir die 12 Leute da, die überall herumrasten. Nur sie müssen sich auch vorstellen, die sind manchmal an der falschen Stelle. Die denken, da ist etwas los und in Wirklichkeit ist es 50 km weiter. Oder, Golineh du wirst dich auch erinnern, du sagtest, nein eigentlich müsste ich doch dahin fahren, aber die Logistik ist dann plötzlich nicht da. Es lag nicht daran, behaupte ich, bis auf vielleicht sehr sehr kurze Phasen wo wirklich Übergaben nicht perfekt waren, hier mal 48 Stunden, da mal eine Woche oder so." Mikich zeigt hier eine merkwürdige Auffassung von journalistischer Arbeit wenn sie 48 Stunden oder gar eine Woche als sehr sehr kurze Phasen bezeichnet. "Es lag aber nicht an mangelnder Menpower, sondern es lag meiner Meinung nach daran, dass die Korrespondenten angehalten sind ein Nachrichtenmaschine zu füttern, weil die Zuschauer stündliche Updates erwarten und einfach dann physisch und vom arbeitsenergetischen Aufwand und so weiter an ihre Grenzen stossen."

Da ist er wieder der böse, ständig hetzende Zuschauer, ohne den die Arbeit so schön sein könnte. Merke auf, wenn Fehler passieren, wenn nicht wahrheitsgemäss berichtet wird, wenn verzerrt dargestellt oder gar gelogen wird, dann ist nicht etwa der Korrespondent oder der verantwortliche Redakteur schuld, sondern einzig und allein die Zuschauer mit ihren unverantwortlich hohen Ansprüchen.

 Bisher haben wir viel über die unmenschlichen, oder wie Golineh Atai sich auszudrücken pflegt, die "unermesslichen Ansprüche" der Zuschauer erfahren. Über das eigentliche Thema, die kritikwürdige Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen aus der Ukraine und aus Moskau wurde bis hierher noch kein Wort verloren. Nun endlich nach 16 langen, quälenden Minuten kommt der Vorsitzende des ARD-Programmbeirats, der sich kritisch über die Berichterstattung geäußert hatte, Paul Siebertz zu Wort:
"Wir haben uns deshalb vorgenommen eine repräsentative Auswahl von Sendungen vom Zeitraum Ende November 2013 bis Ende 2014 anzuschauen, zu beobachten, zu besprechen. Das haben wir dann auch getan."

Inka Schneider unterbricht:
Was heißt das, repräsentativ? Was sind das für Programme gewesen?

Paul Siebertz:
Wir haben uns sämtliche Brennpunkte angeschaut, wir haben uns angeschaut vierzig Magazinbeiträge wir haben uns einen Teil der Talks angeschaut. ....Ich würde, wenn sie erlauben, ganz kurz unsere sehr ausführliche Programmbeobachtung, das waren 323 Seiten Protokoll und, das ist nicht in der Öffentlichkeit, weil wir arbeiten normalerweise vertraulich..."

Inka Schneider unterbricht zum zweiten Mal:
"Aber es ist ja durchgesteckt worden. Und da können wir ja gerade noch zu dem "vertraulich" was sagen. Das sollte ja so sein, aber es ist durchgesteckt worden. Haben sie einErklärung warum, welches Interesse dahinter steckt?"

 Da schreit sie auf, die geschundene Journalistenseele, Verrat! Selbst die Nase ständig im Dreck auf der Suche nach Indiskretion, nach Verrat und Verleumdung, aber das eigene Nest, das beschmutzt man doch nicht.

Paul Siebertz:
Keine Ahnung; das ist zwei Monate nachdem wir das Protokoll beraten haben, am Rande der ARD-Hauptversammlung, irgendjemand muss da irgendein Spiel getrieben haben. Der hat auch nicht das gesamte Protokoll, nur einen Teil ins Internet gegeben....

Christian Neef mischt sich ein:
"Das wollt' ich gerade sagen: Das Durchgesteckte ist übrigens extrem tendenziös gewesen. Es greift bestimmte Dinge heraus die die Meinung bestimmter Leute bekräftigt.

 "Bestimmter Leute", Neef lässt uns im unklaren, wen er meint, aber er wittert Verrat aus Eigennutz. Gezielt setzt er die Leute ins Unrecht, die der Meinung sind, die Berichterstattung aus der Ukraine sei tendenziös. Er macht die Kritiker zu verantwortungslosen Dunkelmännern. Langsam beginnt man zu begreifen, warum die USA Whistleblower wie Edward Snowdon so erbarmungslos jagen. Neef sieht wie der amerikanische Präsident nur den Verrat und nicht das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit auf Information.

Paul Siebertz:
"Aber so global stimmt das auch nicht!"

 Auf die Aufforderung der Moderatorin Inka Schneider nun einmal offen zu legen, was denn der Programmbeirat kritisiert bzw. gefordert habe, auf den 232 Seiten, erläutert Siebertz, dieser hätte sich beispielsweise gewünscht: Mehr Informationen über den sehr umfangreichen EU-Assoziierungsvertrag, über die Geschichte der Ukraine, die sehr unterschiedlichen Landesteile:
 "Wir hätten uns gewünscht mehr über die Geschichte der Ukraine zu erfahren. Das ist ein Land mit völlig unterschiedlicher Geschichte hat. ich bin Österreicher, weiß also ganz genau, dass die gesamte Westukraine, Galizien und die Bukowina hat für lange Zeit, seit den polnischen Teilungen zum KuK-Reich gehört. Das wissen die Leute aber heute auch noch in Lemberg. Umgekehrt, Kiew ist die Wiege des russischen Reichs. Ich vermute mal, dass jedes russische Schulkind das bereits in der 2. Klasse lernt, dass das russische Reich aus Kiew heraus gegründet worden ist. Über die Krim, das muss ich ihnen nicht sagen, dass die ohnehin nie zur Ukraine gehört hat, erst 1954 der Ukraine zugeschlagen wurde."

 Siebertz berichtet, man habe sich auch Magazine angeschaut und kommt auf den Punkt:
" Bei einigen Magazinen stört uns die personalisierte Berichterstattung. Es ist überhaupt nicht mehr von Russland oder russischer Regierung sondern nur noch von Putin die Rede. Und diese Berichterstattung wird begleitet von Kommentaren, und muss ich jetzt einfach mal zitieren damit ich da korrekt bin. Mal ein paar Zitate aus diversen Magazinen." Siebertz zieht einen Zettel aus der Innentasche seines Jacketts und liest ab:
"Sind es machohafte Allmachtsphantasien..." 
"Putin kann vor stolz kaum noch laufen." 
"Putin will Chaos verbreiten."
"Wie kann man sich gegen den Würgegriff Purins wehren?" 
"Mit Manipulation kennt sich der Kreml aus" 
"Die ehemalige Sowjetrepublik antwortet im sowjetischen Stil - mit Gewalt."
 Sonia Seymour Mikich, von der Moderatorin gebeten darauf zu antworten, geht auf keines der Zitate ein, sondern fährt, sichtlich angefressen, sofort eine Gegenattacke: Es gäbe unzählige kluge Beiträge und Sätze in Magazinen in Talkshows und im Presseclub, kann aber nicht einen einzigen dieser "unzähligen klugen Beiträge" zitieren und kommt dann auf eine etwas merkwürdige Untersuchung, veröffentlicht durch die Bundeszentrale für politische Bildung, zu sprechen:
  "Es gibt eine Untersuchung, ich glaub' von der Bundeszentrale für politische Bildung, relativ jung, die hat sich die Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen angeguckt"
die Kamera zeigt derweil eine wissend lächelnde, Zustimmung nickende Golineh Atai,
 "und da steht, okay, lärmende Überschriften, ja Putin der Gott-sei-bei-uns und so weiter, ist nicht mein Stil, aber Talkshows haben auch dieses boulevardeske Element, sonst können wir auch ganz gut damit leben. In den Sendungen sassen eher, wie soll ich sagen, russlandfreundliche oder neutrale Positionen. Es war nicht irgendwie, Ukraine ihr seit heilig und Russland ihr seid böse."

 Sonia Seymour Mikich weiß aber auch, dass es neben dieser Untersuchung, über deren Seriosität und Aussagekraft noch zu reden sein wird, eine Untersuchung des Medienmagazins "Zapp" aus ihrem eigenen Haus, der ARD gibt, das je eine Woche im November 2013 und im Januar und Februar 2014 die ARD-Nachrichtensendungen beobachtet hat und zu dem Ergebnis kommt, dass 80% der Interviewpartner Gegner Janukowitschs waren.

 Und Mikich dürfte auch die Untersuchung des Blogs "Propagandaschau" der sich die Interviewpartner  in den Nachrichten der beiden Öffentlich-Rechtlichen, also ARD und ZDF, in der Woche der Entscheidung in Kiew, also vom 17. bis 22. Februar angesehen hat. Das Verhältnis der Maidenanhänger zu den Getreuen der Janukowitschregierung betrug 94 zu 11.

Zurück zur, von Sonia Seymour Mikich angesprochenen Untersuchung veröffentlicht von der Bundeszentrale für politische Bildung. Erstellt wurde das Papier von Fabian Burkhardt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

 Burkhardt geht wie die beiden oben erwähnten Untersuchungen, die allerdings nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit erheben, davon aus, dass bestimmte Personen für bestimmte politische Aussagen stehen. Untersuchungsgegenstand sind 30 Sendungen von acht Talkshowformaten (Anne Will; Günther Jauch; Menschen bei Maischberger; Beckmann; Hart aber Fair mit Frank Plasberg; Maybritt Illner; Phoenix Runde; Unter den Linden) von ARD, ZDF und Phoenix, in der Zeit von November 2013 bis April 2014.

 Anstatt sich mit den konkreten Aussagen der Gäste in den Talkshows zu befassen, konfiguriert Burkhardt sechs Kategorien in die er die Gäste einteilt. Die Kategorien sind nach Burkhardt "Entspannungspolitik" versus "Eindämmungspolitik"und "Russia first" versus "Zemtraleuropa". Neutral sind demnach die Kategorien "Russlandexperte" und "Westen auch Schuld".

 Abgesehen von der Tatsache, dass Burkhardt zwar die Talkgäste, die er unter den angeblich zwei neutralen Kategorien einordnet, bei der Schlussabrechnung der prorussischen Seite zuschlägt, sind die Attribute, nach denen er die Talkshowgäste einordnet mehr als zweifelhaft.
 Unter der Kategorie "Entspannungspolitik" versammelt er alle, die für einen Dialog mit Russland sind, die der Ansicht sind "es geht nicht ohne Russland".
 Russland ist das größte Land Europas, Russland ist unser größter Energielieferant. Das kann man nicht ignorieren oder totschweigen. Wer also diese Meinungen vertritt, muss noch lange kein Freund Russlands sein.
 Das gleiche gilt für die Aussagen "Handel fortsetzen", "verfügbare diplomatische Kanäle nutzen" oder "man muss sich erst mal in den anderen (Russland) hineinversetzen können"
 Insbesondere das letztgenannte Attribut sagt überhaupt nichts über die Einstellung zu Russland aus, sondern eher etwas über Intelligenz. Ob Diplomatie oder gar Krieg, kluge Köpfe versetzen sich immer in den Partner oder Gegner, um daraus sowohl bei diplomatischen Verhandlung, als auch bei Kriegstaktiken eigene Vorteile zu ziehen.

 Wie fragwürdig und unwissenschaftlich die Einteilung der Gäste durch Burkhardt ist, zeigt sich auch an der Tatsache, dass alle Gäste die der SPD, der FDP und der Linken nahestehen, grundsätzlich und ohne Ausnahme dem Lager der Russlandfreunde und die überwiegende Mehrheit der CDU/CSU und den Grünen Nahestehenden, dem Lager der Russlandskeptiker zugerechnet werden.

 Die ganze Untersuchung macht den Eindruck einer Auftragsarbeit, bei der ein vorher definiertes Ziel erreicht werden sollte. Der oder die Auftraggeber werden nicht genannt. Zudem muss man sich die Frage stellen, inwieweit ausgerechnet Talkshows ein sachgerechtes Bild über die Berichterstattung im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen abgeben sollen. Werden Talkshows doch vom Publikum mehr als Unterhaltung mit geringem, ja zweifelhaften Informationswert angesehen, während viele Zuschauer den Wahrheitsgehalt in den Meldungen der Nachrichtensendungen als gegeben ansehen. Somit hat die Untersuchung des Programmbeirates eine viel höhere Relevanz als diese zweifelhafte Arbeit.

 Zurück zur Diskussion. Sonia Seymour Mikich ist erbost und beweist damit auf das vortrefflichste, wie die Journalisten bei ARD und ZDF arbeiten: Was nicht in das eigene Weltbild passt wird ausgeblendet und ist von da an nicht nur für die Journalisten, was zu verkraften wäre, aber auch, durch deren Eigenschaft als Multiplikatoren, für weite Bevölkerungskreise, nicht mehr existent:
  "Es muss erlaubt sein zu sagen, Russland hat das Völkerrecht gebrochen! Und dann interessiert es mich in dem Augenblick auch nicht, dass die Krim mal dahin gehört hat."

Mikich liefert hier schon zum zweiten Mal ein Beispiel für die kritisierte Voreingenommenheit und einseitige Berichterstattung ab. Während sie oben nur die, durchaus kritikwürdige, Untersuchung der Bundeszentrale für politische Bildung anführt und alle anderen Untersuchungen, die zu vollkommen entgegengesetzten Ergebnissen kommen einfach ignoriert, beharrt sie hier auf der Ansicht, Russland habe das Völkerrecht gebrochen und blendet, alle gegenteiligen Meinungen aus. Da wären in erster Linie die Ausführungen des Rechtswissenschaftlers Prof. Reinhard Merkel in der "Frankfurter Allgemeinen" vom April diesen Jahres, unter dem Titel "Kühle Ironie der Geschichte" zu nennen. Darin sagt Prof. Merkel klipp und klar:
"Hat Russland die Krim annektiert? Nein. Waren das Referendum auf der Krim und deren Abspaltung von der Ukraine völkerrechtswidrig? Nein. Waren sie also rechtens? Nein; sie verstießen gegen die ukrainische Verfassung (aber das ist keine Frage des Völkerrechts). Hätte aber Russland wegen dieser Verfassungswidrigkeit den Beitritt der Krim nicht ablehnen müssen? Nein; die ukrainische Verfassung bindet Russland nicht."
Inka Schneider:
 "Herr Neefs, sie scharren mit den Füssen."

Christian Neefs:
" Ja, - Das ist vertraulich das Protokoll. Ich hab' mir trotzdem beschafft. Gehört ja zu unserm Job das in die Hand zu bekommen und hab' mir das sehr aufmerksam durchgelesen. Ich hatte einen ganz faden Geschmack danach muss ich Ihnen ehrlich sagen. ...Sie treffen gewagte Feststellungen, nicht nur Vermutungen sondern Feststellungen. Ich will ihnen nur einmal drei, vier Sachen sagen, und ich gehöre nicht zur ARD, wie gesagt, und habe dadurch, dass ich nunverhältnismässig viel unterwegs war, in diesem Jahr, auch nur wenig gucken können. Da stehen z.B. solche Sachen drinne wie: Es gäbe keine belastbaren Beweise dafür, dass sich russische Soldaten auf der Krim befunden hätten. Natürlich gibt es die. Putin selbst hat das zugegeben.

 Siebertz unterbricht:
"Er hat gesagt, unsere Jungs stehen dahinter, das ist der Beweis?"

Neefs lässt sich nicht beeindrucken und spinnt weiter an seinem Argumentationsfaden jenseits sämtlicher Fakten:
"Dann steht da drinne, nur so in einem Nebensatz: Die Übergangsregierung in Kiew, Gedankenstrich, die übrigens illegitim ist, wie wollen sie das beweisen, dass sie illegitim ist? Es ist ein langer Streit der Verfassungsrechtler, die sagen: Also man kann am ehesten noch sagen der Präsident ist. Sie können in so einem Protokoll wo diskutiert wird über mögliche Schwächen der Berichterstattung, können sie nicht ihrerseits die Feststellung so im Vorbeigehen so en Passant treffen, das diese Regierung in Kiew illegitim ist. Man kann darüber streiten, wie der Präsident abgesetzt wurde, aber das Parlament war rechtskräftig und hat diese Regierung eingesetzt, das ist bis heute alles, - sie wussten das aber schon in diesem Protokoll."

Neef verschweigt geflissentlich, dass das ukrainische Parlament an jenem denkwürdigen Tag im Februar gar nicht frei war in seiner Entscheidung. Das Parlamentsgebäude befand sich im Zustand der Belagerung und war teilweise sogar besetzt von Kräften des bewaffneten Maidan, darunter vorwiegend Anhänger des "Rechten Sektors". Ministerpräsident Jazenjuk erhielt in der Abstimmung zur Wahl des Ministerpräsidenten nicht die vorgeschriebene Mehrheit aller Mitglieder des Parlamentes, nur die der Anwesenden. Große Teile der Anhänger der Regierung Janukowitsch wurden gewaltsam von der Abstimmung ferngehalten.

 "Dann geht es um Odessa diese tragischen schlimmen Vorgänge am 2. Mai. Da steht drinne, da werfen sie der Tagesschau vor, ich sag' jetzt mal sie. Ich weiß ja nicht wie diese Meinung im Programmbeirat zustande gekommen ist, und wer sich dafür eingesetzt hat, wer das unbedingt notiert haben wollte. (Neef zementiert seine Verschwörungstheorie von den dunklen Mächten im ARD-Programmbeirat) Da werfen sie der Tagesschau vor, glaube ich, dass an Abend nicht bereits gesagt wurde, dass es ultrarechte, ukrainische Nationalisten, vierzig Leute zum, sozusagen, das Ersticken von vierzig Leuten auf dem Gewissen haben. Ich war jetzt vorige Woche noch in Odesse. Das ist bis heute ja noch nicht geklärt. Die Sache ist nach wie vor in der Debatte (Golineh Atai nickt mit diesmal ernstem Gesicht  bedeutungsschwer zustimmend) Es gibt nach wie vor viele Vermutungen, Verdächtigungen. Aber sie können nicht sagen am Abend, sozusagen, wir haben's schon gewusst. Am Abend hätte die Tagesschau das schon berichten müssen."

 Neef weiß natürlich, dass die Untersung der Vorgänge in Odessa am 2. Mai, bei denen übrigens nicht nur vierzig Menschen erstickten, wie es bei ihm so verharmlosend klingt, von der Kiewer Regierung absichtlich verzögert wird. Viele Menschen wurden erschossen oder totgetreten, als sie sich bereits durch einen Sprung aus den Fenstern des brennenden Hauses gerettet hatten. Neef weiß auch, dass es wahrscheinlich wesentlich mehr als die von ihm zugegebenen vierzig Opfer gab. Er weiß ebenfalls, dass mittlerweile so viele detaillierte Beweise gesammelt wurden, dass eine Schuld des "Rechten Sektors" als bewiesen gelten kann. Aber Neef zieht sich auf die verschleppte und immer noch nicht abgeschlossenen Untersuchung der Regierung in Kiew zurück, wohl wissend, dass die Verantwortlichen dort, Innenminister Awakow und Sicherheitschef Parubij selbst den faschistischen Kräften in der Ukraine, wenn auch offiziell nicht angehören, diesen jedoch sehr nahe stehen. Im übrigen gilt was weiter oben über "zivile Gegner" gesagt wurde.

Neef fährt fort:
 "Und dann ein letzter Punkt. Da geht es, glaube ich um eine Brennpunktsendung. Da sagen sie: Der Brennpunkt versuchte dann immer Russland in die Nähe der ehemaligen Sowjetunion zu rücken. Als Beispiel zitieren sie einen Satz: Man wisse ja, der Kreml wisse ja, wie man Wahlen manipuliert. Manipuliert der keine Wahlen? Er manipuliert die Wahlen nach wie vor. Er muss sie gar nicht mehr fälschen, wie 2011 bei der Dumawahl, aber er manipuliert. Das haben wir im September im letzten Wahlen gesehen."

 Ein typischer Neef: Es werden einfach mal ein paar Anschuldigungen in den Raum gestellt, ohne auch nur annähernd Beweise für deren Richtigkeit zu benennen. Internationale Wahlbeonachter der letzten Dumawahlen haben, entgegen der Behauptungen Neefs bestätigt, dass diese, mit ganz wenigen, vereinzelten Ungereimtheiten fair und rechtmässig stattgefunden hätten. Neef lügt also.

 Was nun beginnt, ist wirklich ein Skandal. Man versucht sich der Kritiker, der eigenen Zuschauer zu entledigen, indem man sie als Moskaus fünfte Kolonne diffamiert. Zahlreiche andere Medien haben bereits diesen Versuch gestartet. Keiner Zeitung, keinem Sender ist es bisher gelungen, auch nur ansatzweise dafür Beweise zu erbringen.

 Golineh Atai ficht das wenig an. Mitleid erheischend streut sie, nach dem Muster der Mc Carthy-Ära in den USA in den fünfziger Jahren, Verdächtigungen. Wer nicht meiner, der einzig richtigen, Meinung ist, ja der muss ja zwangsläufig ein moskauhöriger Dunkelmann sein:
"Mir ist auch aufgefallen, es gibt ein Muster. Jedesmal, wenn ich in Kiew stehe und die Sichtweise der ukrainischen Regierung darstelle, vorzugsweise in den Abendnachrichten, häufen sich diese Angriffe und werden mehr. Und mich würde brennend interessieren, wer ist dahinter, sind das tatsächlich, in Anführungsstrichen, unsere Zuschauer, oder geht es da vielleicht um mehr? Gibt es tatsächlich eine Art von gelenktem Interesse? Also es hat mich sehr nachdenklich gemacht."

 Auf das Naheliegenste für die Proteste nach den Schaltungen mit Frau Atai, die eigene, miese, qualitätslose, einseitige Berichterstattung, kommt diese erst gar nicht. Das gibt eine tiefen Einblick in die Psyche der Branche. Die eigene Selbstverliebtheit, die Unfehlbarkeitsphantasien, dieser gottähnliche Besitz der einzigen Wahrheit, lässt Kritik automatisch zur Majestätsbeleidgung werden. Immer noch hängen diese Herrschaften dem totalitären Weltbild an, hier der Journalist, der Wissende, der Produzierende und auf der anderen Seite der Zuschauer, der Leser, der gefälligst die ihm vorgesetzten Brocken kritiklos zu konsumieren hat, ohne jemals selbst ein Wissender zu werden.

Und Atai legt nach:
"Mein Gott, da ist aber jemand informiert. Das da jemand von morgens bis abends meine Berichte verfolgt, von morgens bis abends mit dem russischen fernsehen abgleicht und dann eine ganz andere Messlatte an unsere Berichte legt. Das ist für mich etwas seltsam. Der Sache möchte ich gerne nachgehen."

 Diese Diskussionsrunde, ursprünglich dazu gedacht, die anhaltende Kritik an der Berichterstattung über die Ukraine zu thematisieren, sich ihr zu stellen, kann nur als absolut misslungen bezeichnet werden. Das Gegenteil wurde erreicht. Die versammelte Journaille zeigte einmal mehr, dass sie absolut Beratungsresistent ist. Es wurde dem Zuschauer ein widerwärtiger Korpsgeist der Medienschaffenden vorgeführt. Man spielte sich die Bälle zu, beklagte sich über schlechte Arbeitsbedingungen, über Überforderung und mangelnde Anerkennung durch die Zuschauer und Leser.

 Selbstkritik war nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Stattdessen wurden die alten Lügen wiederholt, man erging sich im Bezeugen gegenseitiger Hochachtung und wurde aggressiv gegenüber den beiden, sehr moderaten Kritikern, Paul Siebertz und Simon Weiß. Will man ein Resümee ziehen, so bleibt festzustellen: Die Journalisten des Mainstreams sind eitel und selbstgefällig, sehen sich als eine eigene unangreifbare Kaste mit einem ekelhaften Korpsgeist, mit dem sie sich gegenseitig die Unfehlbarkeit testieren.



5 Kommentare:

  1. dass vs. das Schwäche, doppelte Negierung. Schade, hätte den Text gerne verwendet.

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  2. Vielen Dank für den Hinweis. Habe den Text noch einmal gelesen und einige Fehler korrigiert. Leider ist es so, dass man als Autor die eigenen Fehler sehr oft übersieht. Ich würde mich freuen, falls Sie noch mehr Schnitzer entdeckt haben, mir diese über den e-mail-Kontakt aus meinem Profil mitteilen würden.

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  3. Simon Weiß soll doch angeblich kritisch gewesen sein? Wollte hier was davon lesen, habe die Sendung nicht gesehen.
    Äußerst interessant ist Neffs unverhohlener Fingerzeig auf die Leute mit "wer" im ARD-Meideienbeirat... der geübte Denunziant würde wohl zu gern mehr wissen, um genauer vorzugehen..
    Und die Ataj wird nun demnächst was produzieren, dass alle deutschen Kritiker aus Moskau bezahlt sind...
    Genau wie die ekiever Putschisten jeden ihrer Kritiker als "Moskal", "Kreml-Spion", "Russe", usw. abstempeln

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  4. Große Blog, ich mag die Tatsache, dass alles speziell geschrieben und objektiv. Ich würde empfehlen!

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