Donnerstag, 21. Juni 2012

Deutscher Kolonialismus in Südeuropa

 Griechenland bekommt eine Regierung der, wie sie irreführend genannt wird, nationalen Einheit. Und schon scheint alles gut zu sein, kein „Austritt Griechenlands aus der Eurozone“ mehr, keine „Beunruhigung der Märkte“ mehr und auch der Zusammenbruch des Weltfinanzsystems wurde abgesagt. Es scheint als hätten die 60% der 11 Millionen Griechen, die zur Wahl gegangen sind, also in etwa 5 Millionen Menschen, am Sonntag durch ihre Wahl die Welt vor dem Untergang gerettet.

 Die Wahrheit, allerdings, sieht ganz anders aus. Das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Mit dem gewünschten Wahlausgang ist ein „weiter so“ verbunden. Nicht nur Griechenland sondern alle Länder des Südens, also ausser Griechenland noch Italien, Spanien und Portugal werden weiterhin zu striktem Sparen angehalten. Sonst so wird ihnen gedroht, wird der Finanzhahn zugedreht. Vorbei scheinen die Zeiten, als die Politiker Europas laut über Massnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft in den „PIGS-Staaten“ nachdachten. Jetzt herrscht wieder die reine Lehre, nicht nur in Griechenland, sparen, sparen, sparen.

 Warum so wird gefragt, beharrt ausgerechnet Deutschland auf einem solch rigiden Sparkurs, wo doch alle Welt Wachstumsprogramme fordert, um die Wirtschaft in Europa zu stützen?

 Die deutsche Wirtschaft lebt seit nunmehr 2 Jahrzehnten ausschliesslich vom Export. Sie hat durch den immensen und nicht ganz freiwilligen Lohnverzicht der Arbeitnehmer in den letzten Jahren enorm abgewertet. Deutsche Erzeugnisse sind auf dem Weltmarkt und vor allen Dingen in Europa immer preiswerter geworden.

Ein Vergleich der Lohnstückkosten zeigt wie rigoros Deutschland Marktanteile durch Dumpinglöhne erobert hat. Verharrten diese in Deutschland 2008 noch immer auf dem Stand von 2000, so waren sie in Griechenland, Italien und Spanien im gleichen Zeitraum um ca. 30 %, und in Portugal um etwa über 25 % gestiegen. Im Jahr 2008 sind die Lohnstückkosten in Deutschland, durch die Rezession und die Gegenmassnahmen, wie verlängertes Kurzarbeiteregel etc. zwar um 7 % gestiegen. Seit 2009 sind sie dann allerdings sogar gesunken, und zwar um annähernd 2 Prozentpunkte.

 Es geht der deutschen Wirtschaft schon längst nicht mehr darum, gegenüber den europäischen Südländern einen Vorteil zu haben, um dort deutsche Produkte zu verkaufen. Diese Märkte sind mittlerweile zu klein und auch weitestgehend gesättigt. Es kommt darauf an, gegenüber den grossen Wirtschaftsnationen wie USA, China und Japan konkurrenzfähig zu bleiben und um Vorteile gegenüber den Schwellenländern. Hier wartet ein riesiger Markt auf die deutsche Wirtschaft.

 Eine Wende in der Wirtschaftspolitik aber würde zunächst einmal bedeuten, dass Deutschland seinen Binnenmarkt stärkt, um die anderen EU-Länder nicht weiter mit deutschen Waren zu überschwemmen. Löhne und Gehälter müssten massiv angehoben, prekäre Beschäftigungen mit ihren Minilöhnen abgeschafft werden. So würde der Konsum angehoben und ausländische Produkte hätten eine Chance auf dem deutschen Markt. Die deutsche Handelsbilanz würde auf längere Sicht gesehen, ausgeglichen.

 Das aber ist nicht in Interesse der mächtigen Exportindustrie hierzulande. Sie hat mittlerweile riesige Produktionskapazitäten aufgebaut, die es gilt auszulasten. Man betrachte nur einmal die deutschen Autobauer. Im Jahre 2011 wurden viereinhalb Millionen, in Zahlen 4.518.973, Pkw exportiert, das entspricht einer Exportquote von 77 %.  Von vier produzierten PKW wurden drei ins Ausland verkauft. Dabei ist die Tendenz weiter steigend, von 2010 auf 2011 um 6,6 %.

 Und hier zeigt sich auch die Strategie. Während in Europa der Absatz fast stagnierte, in den klassischen Eu-15-Ländern lag die Steigerung bei mageren 0,7 %, stieg er beispielsweise in Brasilien um 32%, in Russland gar um 61,4 %, in China um 22,5 %, in Indien um satte 60,8 % und in Taiwan um 44,9 %.

 Die deutsche Autoindustrie zeigt aber auch einen weiteren Grund der rigiden Austeritätspolitik in den Ländern des europäischen Südens. Trotz des eigenen Lohndumpings braucht die deutsche Exportindustrie zusätzliche Billiglohnländer, und zwar wegen der zunehmenden Transportkosten, unmittelbar vor der eigenen Haustür. Immer grössere Produktionsanteile werden ins Ausland verlagert.

 Die deutsche Autoproduktion expandierte in den vergangenen Jahren Richtung Osten. Ein herausragendes Beispiel ist hier die Slowakei. Sie produziert mittlerweile, umgerechnet auf die Bevölkerung, die meisten Autos in Europa. Im Moment sind die Löhne hier noch moderat und liegen in etwa bei 300 Euro im Monat, so dass VW sogar noch beabsichtigt hier seine Produktion im nächsten Jahr zu verdoppeln. Aber schon herrscht ein gewisser Facharbeitermangel. VW arbeitet bereits mit den ersten Gastarbeitern aus Polen. Es ist also absehbar, wann hier die Löhne steigen werden.

 Wenn also die Produktionskosten in den osteuropäischen Staaten durch höhere Löhne zu sehr ansteigen, dann braucht man andere Länder mit geringeren Löhnen. Und wenn es die nicht gibt, dann muss man sie sich eben schaffen. Was läge da näher, als in den Länders des Südens durch eine strikte Sparpolitik auch die letzten, noch funktionierenden, Strukturen zu zerschlagen um sich ein Hungerproletariat zu schaffen. Hier gibt es gut ausgebildete Arbeitskräfte, im Gegensatz zu den Entwicklungsländern, zu einem Spottpreis. Ein weiterer Vorteil, neben der räumlichen Nähe zu Deutschland.

 Es ist wie in den Blütezeiten des Kolonialismus. Deutschland ist zu klein für die Grossmannssucht der Eliten. Und genau wie zu Zeiten von Preussens Gloria umd Wilhelm II. verhalten sich auch unsere Politiker und Wirtschaftsbosse. Es reicht ihnen nicht, den Schwächeren „ohne Rücksicht auf Verluste“ den eigenen Willen zu diktieren und sie schamlos auszubeuten, sie müssen auch ihre eigene, vermeintliche Überlegenheit, hinausposaunen. Volker Kauders: „In Europa wird jetzt deutsch gesprochen,“ ist nicht die einzige Entgleisung. Das die deutsche Kanzlerin nun ausgerechnet das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Griechen besucht, zeugt ebenso von einer grenzenlosen Instinktlosigkeit.

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