Montag, 16. Juli 2012

Europa, das wir meinen?

 Wenn heute von Europa die Rede ist, dann ist vom ESM die Rede dem so genannten Eurorettungsfond, von Staatsverschuldung, vom Fiskalpakt, von Austrittszenarien für Griechenland und von der Bankenkrise in Spanien. Das Europa der Bürger, von dem die Politik in ihren Sonntagsreden so oft spricht, wurde heimlich still und leise zu Grabe getragen.

 Wo ist das Europa in dem junge Menschen voller Begeisterung die Schlagbäume an den Grenzen abmontierten, das Europa Konrad Adenauers und Charles de Gaulles, das als vornehmstes Ziel hatte, die Menschen einander näher zu bringen? Ein Europa, dass es den Politikern ein für alle Mal unmöglich machen sollte, ihre Völker gegeneinander aufzuhetzen und in sinnlosen Kriegen verbluten zu lassen? Wo ist das Europa der gemeinsamen Verantwortung, gegründet in den schweren Nachkriegsjahren um gemeinsam den Hunger und das Elend aus Europa für immer zu verbannen, durch eine Montanunion und durch eine Wirtschaftsgemeinschaft, in der die Agrarpolitik und somit die Versorgung der Menschen mit dem Lebnsnotwendigen im Fordergrund standen?

 Heute ist so viel die Rede davon, die EU dürfe keine Transferunion werden. Von den ersten Tagen der EWG an, wurden wirtschaftlich schwache Regionen von den wirtschaftlich stärkeren solidarisch unterstützt. Süditalien gehörte dazu, die französische Landwirtschaft, später dann Grossbrittanien und Irland, aber auch die deutschen Zonenrandgebiete oder die deutschen Küstenregionen und niemand hat auch nur je ein Wort darüber verloren. Den Müttern und Vätern Europas war klar, wollte man diesen Kontinent, auf dem sich seit alters her die Menschen immer wieder in Kriegen gegenseitig umbrachten, dauerhaft befrieden, dann durfte man keine Region, keine Bevölkerungsgruppe und keine Ethnie aussen vor lassen.

  Heute ist Europa zunächst einmal ein Europa der Banken und des grossen Geldes, es ist ein Europa, dass sich fit machen und das sich fit halten muss für den Wettbewerb mit den anderen Teilen der Welt. Wenn die Kanzlerin im ZDF-Sommerinterview gefragt wird, wie denn mehr Europa in ihren Augen aussehe, dann gibt zur Antwort: „Ja die politische Zusammenarbeit ist schon ein Stück verbindlicher geworden durch den Fiskalpakt aber ich könnte mir schon vorstellen das wir an bestimmten Stellen noch stärker auch den europäischen Institutionen Möglichkeiten geben müssen, gegen die, die Regeln nicht einhalten, auch vorzugehen.“ Der Fiskalpakt, Kontollen und Sanktionen, dass ist das, was der deutschen Bundeskanzlerin zu dem Stichwort, mehr Europa einfällt.

 Mehr Europa, dass ist mehr Geld für die Banken, das ist mehr Kontrolle, das ist mehr Bürokratie. Mehr Europa, das ist für die wirtschaftlich schwachen Staaten eine Überforderung der Bürger durch immer mehr sparen, privatisieren, sozial kürzen und für die Bürger der besser gestellten Staaten ein ständig wachsender Schuldenberg und die Angst einmal alles zu verlieren, was man sich erarbeitet hat.

 Nach Europa sind Not und Elend zurückgekehrt. In Griechenland geht es für viele Menschen im wahrsten Sinne des Wortes bereits um die physische Existenz. In Italien erreicht die Jugendarbeitslosigkeit derzeit die Marke von fünfzig Prozent, in Spanien ist sie bereits weit darüber. Und nach Europa sind Neid, Missgunst und Hass zurück gekehrt. In den Niederlanden, in Frankreich, in allen skandinavischen Ländern nehmen die rechtspopulistischen Parteien von Wahl zu Wahl an Stimmen zu. Erste Bestrebungen die Grenzen wieder zu schliessen und Schutzwälle gegen die Nachbarn aufzubauen werden immer konkreter.

 Unsere Politiker ficht das nicht an. Wenn sie von mehr Europa sprechen, dann meinen sie Aushebelung der Parlamente, mehr Rechtsvorschriften, erdacht in Brüsseler Amtsstuben, statt mehr Freiheit und Freizügigkeit, eine Politik der Alternativlosigkeit, in die die Bürger sich gefälligst zu fügen haben. Es regiert das Recht des Stärkeren. Wer da nicht mehr mit kann, der wird ausgeschlossen und zurück gelassen, ob das nun die wirtschaftlich schwachen Menschen, Regionen oder ganze Staaten wie Griechenland sind.

 Der Politik der Finanzwirtschaft, den Märkten, gerecht zu werden wird alles untergeordnet und geopfert. Man begibt sich in die Abhängigkeit einer siebenköpfigen Raupe, die alles frisst, die Freiheit, die Demokratie und die Menschenwürde. Demonstrationen aufgebrachter Bürger werden gnadenlos niedergeknüppelt, in Griechenland musste Präsident Papandreou gehen, weil er es gewagt hatte darüber nachzudenken, das Volk über die ihm auferlegten Sparmassnahmen abstimmen zu lassen, auf die Parlamentswahlen wurde massiv Einfluss genommen, bis hin zu der Drohung mit einem Putsch der Streitkräfte. In Italien wurde ein rechtmässig gewählter Regierungschef, auch wenn dieser nicht gerade eine Zierde seines Standes war, durch einen neoliberalen Bürokraten einfach so ersetzt und in ganz Europa sollen nun durch die Regelungen des Fiskalpaktes die nationalen Parlamente überflüssig gemacht werden.

 Die Menschenwürde wird mit Füssen getreten, nicht nur durch den Entzug der Lebensgrundlagen für viele Menschen in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Irland, auch an den Aussengrenzen, zeigt das einzig auf das Erzielen von Mehrwert ausgerichtete Europa, sein hässliches Gesicht. Verträge mit Diktatoren werden geschlossen um die Hungernden Afrikas von Europa fernzuhalten. Wenn diese sich trotzdem auf den Weg machen über das Mittelmeer, in seeuntüchtigen Booten mit zu wenig Wasser, Lebensmitteln und Treibstoff an Bord, dann schauen wir so lange weg, bis sie gekentert und ertrunken sind, oder vor Durst wahnsinnig geworden über Bord springen und auf nimmerwiedersehen verschwinden.

 Diejenigen, die es trotz aller Massnahmen schaffen das europäische Ufer zu erreichen werden in menschenunwürdigen Lagern zusammengefercht und bei nächstbester Gelegenheit zurückgeschickt in ein Leben ohne Zukunft. Die Anderen, die den Lagern entgehen, werden für Arbeiten in der Gemüseproduktion in Spanien, Italien und Griechenland ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit ausgenutzt. Sie müssen Herbizide und Pestizide versprühen ohne hinreichenden Schutz, sie müssen arbeiten ohne Kranken- und Sozialversicherung, haben keinen Kündigungsschutz und werden regelmässig um ihren hart erarbeiteten Lohn betrogen.

 Europa, einmal gestartet, um in Frieden und Freiheit allen Nationen und Menschen ein guter Nachbar zu sein, steht heute überall auf der Welt mit seinen Militärs bereit, um Kolonialismus, Ausbeutung und Sklaverei, notfalls mit Gewalt, durchzusetzen. Letzte Beispiele: Libyen, die Elfenbeinküste, Afghanistan und in Zukunft sicher auch Syrien und Iran.

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