Montag, 13. Mai 2013

Neoliberale Elite feierte sich in Aachen mit der Verleihung des Karlspreises selbst


 In Aachen wurde am Himmelfahrtstag, einer seit 1950 bestehenden Tradition zu Folge, der Karlspreis verliehen. Der Preis soll „an Persönlichkeiten oder Gremien, die sich durch hervorragende Leistungen in politischer, wirtschaftlicher oder geistiger Beziehung für die Einheit Europas oder den Zusammenschluss seiner Staaten auszeichnen,“ verliehen werden, wie es in der Satzung der „Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen e.V“ heisst.

 Das die Pristräger überwiegend aus dem konservativen Spektrum Europas kommen verwundert nicht, bei dem überwiegend konservativ zusammengesetzten Gremien der Stiftung, die Trägerin des Karlspreises ist, und dem Direktorium, das letztlich die Preisträger auswählt.

 Im Stiftungsrat sitzen unter anderem
  •  unter dem Vorsitz des ehemaligen Staatssekretärs im Aussenministerium unter Hans-Dietrich Genscher und im Bundespräsidailamt unter Bundespräsident Horst Köhler, Michael Jansen, so hervorragende Europäer wie 
  • Wilhelm Bonse-Geuking, Vorsitzender des Stiftungsrates und hauptberuflich Vorsitzender des Aufsichtsrates der BP Europa SE oder 
  • Staatsminister a.D. Michael Thomas Breuer (CDU) und Präsident des Rheinischen Sparkassenverbandes, 
  • Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (beide Verbände, sowohl der der Sparkassen als auch der Volksbanken wehren sich zur Zeit vehement gegen Pläne der EU alle Banken der Eurozone von der Europäischen Zentralkank beaufsichtigen zu lassen), 
  • Prof. Dr. Renate Köcher (CDU) Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, 
  • Wolfgang Kopf, Leiter Politik & Regulierung der Deutschen Telekom AG, 
  • Dr. Dietmar Kuhnt, Vorsitzender des Vorstandes der RWE AG a.D., 
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München, ein Verfechter des Europas der zwei Geschwindigkeiten, also der Spaltung Europas in einen reichen Norden und einen armen Süden, 
  • Prof. Dr. Jürgen F. Strube, Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates der BASF SE und 
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst-Ludwig Winnacker, Mitglied des Aufsichtsrates der Bayer AG.
 Ähnlich sieht es im Direktorium der Gesellschaft, das ja letztendlich die Preisträger auswält, aus. Unter dem 
  • Vorsitz des Aachener Oberbürgermeisters Marcel Philipp (CDU) entscheiden hier: 
  • Dieter Philipp, Präsident der Handwerkskammer Aachen, 
  • Armin Laschet MdL, Staatsminister a.D., Vorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen, 
  • Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, MdEP Präsident des Europäischen Parlaments a.D., Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, 
  • Michael Westkamp, Vorsitzender des Vorstandes der AachenMünchener und die von der Stiftung entsandten 
  • Michael Jansen, ehemaliger Staatssekretärs im Aussenministerium unter Hans-Dietrich Genscher und im Bundespräsidailamt unter Bundespräsident Horst Köhler, 
  • Wilhelm Bonse-Geuking,  Vorsitzender des Aufsichtsrates der BP Europa SE. 
 Ein besonders Bonbon am Rande: 
  • Irene Schulte-Hillen, Präsidentin der Deutschen Stiftung Musikleben und Schwägerin des Anwaltes der Contergangeschädigten, Karl-Hermann Schulte-Hillen sitzt 
  • Dipl.-Kfm. Michael Wirtz, Konsul, Gesellschafter der Grünenthal GmbH, dem sich Jahrzehnte seiner Verantwortung entziehenden, Hersteller von Contergan gegenüber.
 Diesjährige Preisträgerin ist die Litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite. Die ehemalige EU-Haushaltskommissarin wurde 2009 zur Präsidentin des am westlichsten gelegenen Staates auf dem Baltikum gewählt. Damals stand Litauen vor dem Ruin. Mit eiserner Hand und ohne Rücksicht auf Verluste peitschte Grybauskaite die alt bekannten neoliberalen Reformen durch.
  • Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 19% auf 21%;
  • Die durchschnittliche Altersrente von 235 € wurde zwischen 2009 und 2010 auf 216 € im Monat gekürzt;
  • Der Höchstsatz derArbeitslosenunterstützung wurde zum 1. Januar 2010 um 38% von, umgerechnet, 302 € auf 188 € gesenkt. Das bedingte den Rückgang der durchschnittlichen Arbeitslosenunterstützung auf etwa 159 EUR im Monat;
  • Die Bedingungen für den Bezug von Arbeitslosenunterstützung wurden dermassen verschärft, dass der Anteil der Arbeitslosen, die die Unterstützung erhielten, von 34% im Jahr 2009 auf 15% zu Beginn des Jahres 2011 zurück ging.
  • Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst zwischen 4% bis 12% , je nach Höhe der Bezüge
  • Mehrwertsteuererhöhung von 19 auf 21% 
Dazu muss man wissen, dass die Verbraucherpreise, insbesondere die Lebensmittelpreise,  in etwa genau so hoch sind wie bei uns.

 Das Bruttoinlandsprodukt ging rapide zurück, von 2008 mit 32,29 Mrd. Euro auf 26,51 Mrd. Euro in 2009 und erreichte nach einer Schätzung (konkrete Zahlen liegen noch nicht vor) erst 2012 mit 32,5 Mrd. Euro wieder den Stand von vor fünf Jahren. Dabei stieg die Arbeitslosenquote von 3,5% im April 2008 auf den Höchststand von 18,5% im Juli 2010 und liegt heute immer noch bei 13,1%.

 Das Ergebnis dieser Politik war eine Welle von Auswanderung. Jährlich verliessen etwa 30.000 Menschen, etwa ein Promille der Bevölkerung, meist gut ausgebildete junge Menschen, das Land. Viele Arbeitnehmer flüchteten wegen der geringen Löhne und der hohen Steuern in die Schwarzarbeit. Der Anteil der Schattenwirtschaft ist mit ca. 20% des Bruttoinlandsproduktes so hoch wie in keinem anderen Land der EU.

 Angesichts dieser Tatsachen klingt die Begründung des Karlspreis-Direktoriums für die Verleihung des Preises an Dalia Grybauskaite wie eine Verhöhnung der Menschen in Litauen. Dalia Grybauskaite wird als eine herausragende Persönlichkeit im baltischen Raum bezeichnet. Mit Mut und Augenmaß habe sie Litauen aus der Wirtschaftskrise geführt und strebe jetzt mit ihrem Land die Aufnahme in die Eurozone an. Diese Begründung kann man nur verstehen, wenn man zu Grunde legt, dass es den, oben namentlich genannten, Preisgebern gar nicht mehr um den Grund allen wirtschaftlichen Handelns geht, nämlich den Menschen zu dienen, sondern um den Machterhalt und den Vorteil einer winzig kleinen herrschenden Kaste.

 Wenn die Worte des Laudators, Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments und deutscher Sozialdemokrat denn aus Überzeugung gesprochen sind, Grybauskaite sei eine "Frau des offenen Wortes" und "außergewöhnliche Europäerin", die ihren Posten als EU-Kommissarin aufgegeben habe um ihrem Land in einer schweren Wirtschaftskrise beizustehen, dann kann man in etwa abschätzen wie ernst die SPD ihr Versprechen meint, nach einer gewonnenen Bundestagswahl für mehr Gerechtigkeit in Deutschland zu sorgen.

 Und man muss sich angesichts der Presseberichte, schlussendlich fragen, ob unsere Medien noch eine Berichterstattung betreiben, die sich an den Tatsachen orientiert, oder ob sie uns eine Scheinwelt suggerieren, die uns Glauben machen soll, alles sei gut, so wie es unsere Eliten einrichten. Alle Blätter huldigen der Austeritätspolitik Grybauskaites und verbinden diese nicht selten mit Mahnungen an die unzufriedenen Menschen in Europa, Opfer zu bringen für das Große-Ganze. "Macht eure Hausaufgaben", titeln Spiegel online und Focus unisono.

 RP-online findet den Zeitpunkt der Preisverleihung gut gewählt: "Denn die Problemstaaten Südeuropas fordern lautstark eine Abkehr vom strikten Sparkurs ", und lügt dann munter weiter drauflos: "Litauen ist jedoch das Musterbeispiel dafür, dass dieser funktioniert".

 "Mehr als eine Frage des Wohlstandes", titeln die Westfälische Nachrichten, und spinnen weiter an dem Märchen der erfolgreichen Sparpolitik: "Es gibt sie also noch: die opferbereiten Europäer, die sich für die EU begeistern können, die von Sinn und Wert Europas überzeugt sind. Das kleine erfolgreiche Litauen liegt außerhalb der Krisen-Achse, die den Blick nach Süden lenkt".

 Es hat schon etwas antidemokratisches, wenn man das berechtigten Interesse der Menschen in Europa an dem unermesslichen Reichtum dieses Kontinents teilzuhaben, dermassen negiert und den hohen Ratschluss von Wirtschaft und Politik, den Bürgern immer wieder neue Opfer abzuverlangen, als alternativlos darstellt.

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