Mittwoch, 8. Mai 2013

Von der Bundesregierung finanzierter Lobbyverband: Europäische Bewegung Deutschland


„Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“, so ein Spruch zur ersten Wahl zum Europaparlament in den 70er Jahren. Während damals der operettenhafte Charakter des Parlaments und der europäischen Institutionen verspottet wurde, sind die Spötter heute selbst im Alter der Großväter und haben erkannt, dass mittlerweile die süßesten Trauben in Brüssel geerntet werden. Hier treibt der Lobbyismus Stilblüten, hier werden die Gesetze und Verordnungen erlassen, die die größten Einflüsse auf die Wirtschaft haben.

 So nimmt es nicht Wunder, dass einer der profiliertesten Vertreter der Schröder-Fischer-Zeit, der damalige Bundestagsabgeordnete, wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Kurator der Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft und heutige Cheflobbyist der Deutschen Post, Dr. Rainer Wend, nun als Präsident der "Europäischen Bewegung Deutschland" grüßt. Wie viele Politiker dieser Generation machte auch Wend eine erstaunliche Metamorphose vom stalinstischen Mitglied des Sozialistischen Hochschulbundes und Angehörigem des Stamopap-Flügels der Jungsozialisten zum neoliberal geprägten Sozialdemokraten des rechten Flügels und schliesslich zum Kostgänger einflußreicher Wirtschaftsvertreter durch. Heute ist er Cheflobbyist der Deutschen Post.

 So ist auch die „Europäischen Bewegung Deutschland“ (EBD) ein merkwürdiger Zwitter aus Vertretern der Wirtschaft, der im Bundestag vertretenen Parteien, außer der Linken, und der Berliner Exekutive, in diesem Fall federführend des Aussenministeriums und des Ministeriums für Bildung und Forschung.

Quelle: Europäische Bewegung Deutschland


 Mit Demokratie und unserer demokratischen Verrfasstheit hat das Alles natürlich nichts mehr zu tun. Dem eigentlichen Souverän, den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland ist ein Beitritt zur EBD verwehrt. Diese steht nur Organiationen offen, natürliche Personen sind von einer Mitgliedschaft grundsätzlich ausgeschlossen.  Die EBD entzieht sich so jeder demokratischen Kontrolle. Hier sitzen sich einzig hohe Beamte aus den verschiedenen Fachbereichen der Bundesregierung, der Brüsseler Bürokratie und Lobbyvertreter gegenüber.

 Was hier, meist im Vorfeld von Beschlüssen und Verordnungen der europäischen Kommission und des europäischen Parlaments, die ja unmittelbar verbindlich sind oder in nationales Recht einfliessen, gekungelt und gemauschelt wird, dringt bestenfalls in stark gefilterter Form an die Öffentlichkeit.

 In verschiedenen Veranstaltungsformaten werden die Mitgliedsgruppen frühzeitig in die Aktivitäten der verschiedenen europäischen Institutionen einbezogen und haben so die Möglichkeit, diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. Diese Formate sind unter anderm:

1. EBD Staatsminister im Dialog: Europapolitische Prioritäten der Bundesregierung
  Hier, so die EBD „diskutiert Staatsminister Michael Georg Link, MdB in lockerer Folge mit deutschen Interessengruppen die aktuellen politischen Herausforderungen der EU“, und weiter „Link berichtet in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Staatssekretärsausschusses für Europafragen (EU-StS). Der Ausschuss der Bundesregierung trifft in der Regel einmal monatlich zur Erörterung und Entscheidung grundlegender europapolitischer Fragen zusammen.“ Michael Georg Link ist FDP-Politiker und Staatsminister unter Aussenminister Guido Westerwelle.

2. EBD Briefings
 Die Briefings finden in der Regel dreimal im Jahr statt und zwar jeweils zu Beginn einer neuen EU-Ratspräsidentschaft und eines zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission. Dazu die EBD: „Ziel ist es, im Sinne der politischen EU-Vorausschau frühzeitig die Prioritäten vorzustellen und zu diskutieren.
 Auf den EBD-Briefings diskutieren die jeweiligen Botschafter, die Europaabteilungschefs des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland mit Vertreterinnen und Vertretern deutscher Interessengruppen.“
 Durch die frühzeitige Information über die Arbeitsprogramme können sich die Interessenvertreter rechtzeitig auf ihre Interventionen vorbereiten.

3. EBD Grünbuch-Analysen zu Fachthemen und Konsultationen
 Dazu Wikipedia: „Ein Grünbuch der Europäischen Kommission ist ein Farbbuch, das als Diskussionspapier zu einem bestimmten Thema, insbesondere Vorlagen für Verordnungen und Richtlinien, mit dem Zweck, auf diesem Gebiet eine öffentliche und wissenschaftliche Diskussion herbeizuführen und grundlegende politische Ziele in Gang zu setzen, dient. Häufig wird eine Reihe von Ideen oder Fragen aufgeworfen und Einzelne sowie Organisationen zu Beiträgen aufgefordert. Nächster Schritt ist oft ein Weißbuch, welches offizielle Vorschläge zusammenfasst.“

 Es ist natürlich von existentiellem Interesse für die Wirtschaft und deren Verbände, so früh wie möglich in die Überlegungen der europäischen Entscheidungsträger eingeweiht zu werden, um diese bereits in der Planungsphase in ihrem Sinne zu beeinflussen. Von einer „öffentlichen Diskussion“, von der im Wikipediatext die Rede ist, kann natürlich keine Rede sein, da Öffentlichkeit ja gerade durch die Mitgliederstruktur der EBD explizit ausgeschlossen wird.

4. EP-Berichterstatter im Dialog
 Ganz unumwunden beschreibt die EBD den Zweck dieser Veranstaltungen: „Das Netzwerk EBD hat mit "EP-Berichterstatter im Dialog" ein Format entwickelt, das die deutschen Interessengruppen über anstehende Entscheidungen im Europäischen Parlament informieren soll.  "EP-Berichterstatter im Dialog" sind Veranstaltungen, bei denen ein Mitglied bzw. Berichterstatter des Europäischen Parlaments den Bericht zu einem EU-Legislativverfahren vorstellt. Vertreter der EBD-Mitgliedsorganisationen und anderer Interessengruppen können in einer Diskussionsrunde Fragen stellen und Kommentare abgeben“. Schöner kann man Lobbyarbeit eigentlich nicht beschreiben.

5.EBD De-Briefings zu Europäischen/Fach-Räten
 „EBD De-Briefings liefern detaillierte Informationen zu den Ergebnissen von Tagungen des Europäischen Rates sowie von Ministerräten.
 Die Formate bieten die Möglichkeit, im engen Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Bundesministerien diese Details zu erörtern – direkt im Anschluss an den Rat und zum Nutzen aller Beteiligten.“ Bereits einen Tag nach Sitzungen des Europäischen Rates oder eines Ministerrates werden Lobbyisten „detailierte Informationen“ hierüber bekannt gegeben. Das heißt, in der Regel wissen Lobbyisten schneller und detailierter über Absprachen der höchsten Gremien Europas bescheid, als das Parlament. Einmal ganz abgesehen, dass die meissten Abgeordneten des Deutschen Bundestages diese Informationen höchst wahrscheinlich nie erhalten.

 Für die Mitglieder sind diese „Briefings“ von unschätzbarem Wert. Nicht nur, dass sie schon im Vorfeld über Entscheidungen und Entschlüsse der europäischen Gremien informiert werden, sie treffen dabei auch auf die unmittelbaren Entscheidungsträger in Europa und Berlin. Da sind schnell mal die Visitenkarten ausgetauscht, ein Treffen vereinbart, ein Memorandum überreicht und Bedenken und Anregungen der nötige Nachdruck verliehen.

 Etwa 230 Mitglieder zählt die EBD, hauptsächlich Interessenverbände der Wirtschaft wie zum Beispiel:

  • der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland e.V. - agv
  • die Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände e.V
  • der Bundesarbeitgeberverband Chemie – BAVC
  • die Bundesarchitektenkammer - BAK
  • die Bundesärztekammer - BÄK
  • die Bundesingenieurkammer - BIngK 
  • die Bundesnotarkammer - BNotK
  • der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. - BDI
  • der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. - BDSI
  • der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken - BVR
  • der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. - BDEW
  • der Bundesverband der Freien Berufe - BFB
  • der Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie e. V. – BOGK
  • der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft – BDSW. Wirtschafts- und Arbeitgeberverband e. V.
  • der Bundesverband der Unternehmervereinigungen - BUV e.V.
  • der Bundesverband des Deutschen Versandhandels e.V. - bvh
  • der Bundesverband deutscher Banken - BdB
  • der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. - BDIU
  • der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer e.V. - bdo
  • der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e.V.
  • der Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. - GdW
  • der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft Global Economic Network e.V.
  • der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. - BVI
  • der Bundesverband Medizintechnologie e.V. - BVMed
  • der Bundesverband mittelständische Wirtschaft - Unternehmerverband Deutschlands e.V.
  • der Bundesverband Musikindustrie e.V.
  • der Bundesverband Öffentliche Dienstleistungen – Deutsche Sektion des CEEP e.V.
  • der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. - bpa
  • der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände - BDA
  • die Bundeszahnärztekammer - Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Zahnärztekammern e.V.
  • der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde – BLL/ Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie – BVE 
  • GEMA - Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
  • Gesamtmetall. Die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie
  • Gesamtverband Autoteile-Handel e.V. - GVA
  • Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft - GDV
  • Gesamtverband Steinkohle e.V.  
  • Verband der Automobilindustrie e.V. - VDA
  • Verband der Chemischen Industrie e.V. - VCI
  • Verband der deutschen Fruchtsaftindustrie e.V. - VdF
  • Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland e.V. - OVID
  • Verband der privaten Hochschulen - VPH
  • Verband der Sparda-Banken e.V.
  • Verband Deutscher Zeitschriftenverleger - VDZ
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. - vfa
  • Verband kommunaler Unternehmen e.V. - VKU
  • Verband privater Bauherren e.V. - VPB
  • Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. - VPRT
  • Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V.
  • Zentralverband des Deutschen Handwerks e. V. – ZDH
  • Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V.


 Aber auch große Firmen oder ihre Stiftungen nehmen unmittelbaren und direkten Einfluß:

  • Allianz Kulturstiftung
  • BASF  - The Chemical Company
  • Bertelsmann Stiftung
  • BMW Stiftung Herbert Quandt
  • Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG 
  • Celesio AG, internationaler Pharmahändler
  • Deutsche Bahn AG
  • Deutsche Bank Research 
  • Deutsche Post AG
  • Deutsche Telekom AG
  • DuPont de Nemours (Deutschland) GmbH, einer drei weltgrößten Saatgut- Dünger- und Chemieproduzenten in der Landwirtschaft
  • E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG
  • Fraport AG Frankfurt AirportServices Worldwide  
  • MAN SE - Büro Berlin 
  • METRO Group
  • NRW.BANK
  • Otto Wolff Stiftung
  • SAP Deutschland AG
  • Siemens AG
  • Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa 
  • UPS Deutschland Inc. & Co. OHG
  • Volkswagen AG


Vertreten sind auch die allgegenwärtigen PR-Agenturen und Berater:

  • Burson-Marsteller GmbH
  • Bohnen Kallmorgen & Partner
  • Hamburgisches WeltWirtschaftsinstitut gGmbH - HWWI
  • Roland Berger Strategy Consultants GmbH.


 Ausserdem gehören die CDU, die CSU, Die SPD, Die Grünen, und die FDP mit ihren Stiftungen zu den Mitgliedern.

 Die Organisationen zahlen Beiträge, gestaffelt nach ihrer Größe zwischen 500,-- und 1.500,-- Euro. Parteien sind mit nur 400,-- Euro mit im Boot. Im Jahre 2011, jüngere Angaben liegen noch nicht vor, hatte die EBD ein Beitragsaufkommen von 80.000,-- Euro.

 Die sechs Vollzeitstellen, die die EBD eingerichtet hat, sind allerdings mit solchen „Peanuts“ nicht zu bezahlen. Diese sechs Stellen läßt die Lobbyorganisation sinnigerweise vom Auswärtigen Amt mit 353.000,-- Euro Steuergeldern bezahlen. Es klingt wie ein schlechter Witz: Der deutsche Staat zahlt der Wirtschaft Personal, damit diese ihre Interessen gegen eben diesen Staat besser durchsetzen kann.

Da mag dann die Europäische Kommission nicht abseits stehen und wirft ihrerseits noch einmal 52.000 Euro in den hingehaltenen Hut.

 Für die Planung, Organisation und die Durchführung des Schülerwettbewerbs „Europäischer Wettbewerb" erhält die EBD Mittel aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Betrag in unbekannter Höhe.

 Die EBD ist eine Organisation, getragen von altem Elitedenken des vordemokratischen Zeitalters, dass davon ausgeht, dass das gemeine Volk nicht dazu in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Und als ein Zusammenschluss der Elite sorgt die EBD auch für den Nachwuchs. Im  „College of Europe“ in Brügge/Natolin werden die Diplomaten, Wirtschaftsführer und Spitzenbeamten der nächsten Generation ausgebildet. Ein Gremium der EBD trifft in einem dreistufigen Verfahren die Auswahl aus den zahlreichen Bewerbern. Im Jahre 2012 waren das 38 junge Akademiker. 30 von ihnen bekamen ein Stipendium, das die Studiengebühren abdeckt.. Die Studiengebühren für das zehnmonatige Studium betragen immerhin 15.000,-- Euro. Dazu kommen Unterkunft und Verpflegung für noch einmal ca. 5.000,-- Euro, die aber von den Stipendiaten selbst getragen werden müssen.

 Für das Auswahlverfahren und die Stipendien stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung der EBD im Jahr 2012 einen Betrag von 475.000,-- Euro zur Verfügung.

 Das Netzwerk, dessen Mitglieder vor Geld förmlich stinken, erhält von den verschiedenen Ministerien und der EU mehr als 850.0000,-- Euro im Jahr, um Interessenpolitik zu betreiben.

 Die „Europäische Bewegung Deutschland“ ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die sogenannten Eliten diesen Staat unter sich aufgeteilt haben und wie sehr unser Grundgesetz der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Nicht die Bürger entscheiden in freier geheimer Wahl über ihre Zukunft, sondern diese, in einem halblegalen Graubereich operrierende Organisationen. Gebe sich keiner der Illusion hin, er oder sie entscheide am 22. September mit der Stimme zur Bundestagswahl noch irgend etwas. Das Fell des Bären ist längst verteilt, er muss nicht einmal mehr erlegt werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen