Sonntag, 20. Mai 2012

Wächter über Freiheit und Demokratie werden am Samstag in Baku in den Schlaf gesungen

 In ein paar Tagen ist es wieder so weit. Dann versammeln sich die Goldkehlchen Europas und ermitteln in "fairem" Wettstreit den Besten oder die Beste unter sich. Dieses Mal findet das Treffen in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans statt. Nun ist noch immer nicht sicher ausgemacht, ob Aserbaidschan überhaupt noch zu Europa gehört, oder ob es bereits in Asien liegt. Aber Aserbaidschan ist reich, sehr reich. Es schwimmt auf einer Blase von Öl und Gas. Und in einer Branche, in der sich alles aber auch wirklich alles ums liebe Geld dreht, da verschwimmen die Grenzen gern schon mal, wenn es denn nützt.

 Da ist es dann auch von höchst untergeordneter Bedeutung, dass das Land seit einer Militärrevolte 1993, praktisch autokratisch, von einer Familie beherrscht, ausgesaugt und aufs brutalste unterdrückt wird. Überboten sich vor ein paar Wochen noch Politik und Presse in Boykottforderungen der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine, angesichts des Bandscheibenvorfalls einer , des mehrfachen Betrugs verdächtigten, Energieoligarchin, so konnte man derlei Forderungen in Richtung Aserbeidschan und seiner Hauptstadt Baku nicht vernehmen.

 Ganz im Gegenteil: „Lass die Sonne in dein Herz" sang die Gruppe Wind beim Grand Prix 1987. So herzerwärmend wie im Song beschrieben, empfängt die aserbaidschanische Hauptstadt Baku derzeit seine Besucher,“ jubelte etwa Jens Maier vom "Stern" und weiter: “…dass sich die meisten nach den vielen Berichten über Menschenrechtsverletzungen und die Gängelung der Presse im Land auf das Schlimmste eingestellt hatten. Jetzt werden sie positiv überrascht…“

 Der "focus" hebt den „Glamour der Stadt am Kaspischen Meer, die Besucher gern als eine Mischung aus Paris und Dubai loben,“ hervor, und zitiert dabei den Grünen Volker Beck.

 Bei so viel Begeisterung darf die Tagesschau natürlich nicht fehlen: „Der deutsche ESC-Kandidat Roman Lob ist angekommen in Baku und "überwältig" vom ersten Blick auf die aserbaidschanische Hauptstadt,“ und fügt dann, wie immer deutsche Überlegenheit und Ingeneurskunst preisend hinzu: „Vor allem deutsche Firmen arbeiten daran, dass das ESC-Finale - die größte Live-Musiksendung der Welt - ein voller Erfolg wird.“ Die Umstände in Aserbaidschan masslos bagatelisierend fügt das deutsche Leitmedium  im Nachrichtenbereich dann doch noch hinzu: „Schon jetzt ist es eine Show mit Schattenseite, denn der Regierung sind die Menschenrechte egal.“ Naja, immerhin der Berichterstatterpflicht scheint damit genüge getan.

 Ganz so entspannt kann man die Lage bei näherem Hinsehen allerdings nicht finden. Das Land wird regiert vom Clan der Aliyevs in der nunmehr zweiten Generation. 1993 kam der Vater des jetzigen Präsidenten Ilham Alijev, Heydar Alijev an die Macht. Der ehemalige Chef der Kommunisten und enge Vertraute Breschnews besetzte in der Folge alle Schlüsselpositionen mit angehörigen seines Clans. Er verteilte aber nicht nur die Ämter unter den Seinen, auch die Schätze und der Reichtum des Landes werden seither, nach einem von Alijev eigens verfassten Schlüssel, in der Familie aufgeteilt.

 2003, als der Gesundheitsszustand des schwer Herzkranken sich zusehends verschlechterte, machte er seinen Sohn zu seinem Nachhfolger. Bei der letzten Präsidentenwahl wurde Ilham Alijev mit über 80% in seinem Amt bestätigt. Die Beobachter der OECD sprachen von einem nicht regulären Wahlgang.

 Aserbaidschan ist eins der korruptesten Länder der Erde. Auf der Liste von „Transparency International“ belegt das Land Platz 143 von 182 Ländern. Auch mit der Pressefreiheit ist es nicht weit her. Auf der Liste der „Reporter ohne Grenzen“ belegt Aserbaidschan in 2011 Platz 162 von 179 aufgelisteten Ländern. Mit sinkender Tendenz, 2010 stand es noch auf Platz 152. Die, ach so unterdrückte Ukraine, die bei der Fußball-EM zu boykotieren eines jeden aufrechten Mannes und einer jeder aufrechten Frau, Pflicht ist, belegt hier Platz 116.

 Auch Amnesty International berichtete mehrfach von Menschenrechtsverletzungen und von mehreren politischen Gefangenen. Hier kann übrigens das Hamburger Abendblatt mit ganze präzisen Zahlen helfen. Demnach handelt es sich um genau 12. Einige von ihnen befinden sich, genau wie Julija Tymoschenko, in der Ukraine, im Hungerstreik. Von westlichen Politikern und der gesamten westlichen Presse völlig unbeachtet. Auch ist nirgends von einem Arzt der Berliner Charité, zur Behandlung der Hungerstreikenden vor Ort, die Rede.

 So wird denn am Samstag mehre Stunden lang Glanz und Glamour über die Fernsehschirme Europas flimmern. Stars und Sternchen, die Bussi-Bussi-Gesellschaft werden sich auf dem obligatorischen roten Teppich feiern und gefeiert werden und Anke Engelke wird das alles für Deutschland moderieren, sie braucht wohl das Geld. Volker Beck, bei den Grünen hauptsächlich verantwortlich für Betroffenheit, ist schon einmal vorgefahren um zwischen den diversen allabendlichen Parties, als einziger deutscher Politiker sein Bedauern über die nicht ganz demokratischen Verhältnisse in Aserbaidschan auszudrücken.

 Ein weiteres Beispiel dafür, wie ein bisschen Öl und Gas unter den dem Boden eines Landes doch die westlichen Kämpfer für Freiheit und Demokratie in allgemeine Blind- und Taubheit verfallen lässt.

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