Freitag, 14. September 2012

Islamischer Flächenbrand anstatt arabischer Frühling

 Die Amerikaner sind konsterniert. Sie schauen auf ihre Fernsehbildschirme und können es nicht fassen. Nach der Veröffentlichung eines Videos in dem der Prophet Mohammed als Lüstling, Lügner und Betrüger dargestellt wird und dessen Absicht wohl von vornherein war, die islamische Welt zu provozieren, kommt es zu gewaltsamen Protesten gegen US-amerikanische Einrichtungen. Tausende protestierten in Kairo und versuchten die amerikanische Botschaft zu stürmen, ebenso wie im Jemen, in Pakistan, in Afghanistan, im Iran und im Irak. In Bengasi wurde das amerikanische Konsulat gestürmt und angezündet. Der Botschafter und drei weitere Diplomaten wurden getötet, mehrere verletzt.

 Bengasi, ausgerechnet Bengasi, hier wo die USA sich unter Verbündeten wähnten. Schliesslich hatten sie die libysche Revolution, die im Frühjahr 2011 hier begann massgeblich unterstützt. Eine Revolution, die der arabischen Welt Demokratie nach westlichem Vorbild bringen sollte. Anders als in Tunesien, von wo der „arabische Frühling“ ausging und in Ägypten hatten sie in Libyen nicht gezögert und sich von Anfang an auf die Seite der Revolution geschlagen. Sie hatten die Schlüsselpositionen im libyschen Revolutionsrat mit ihren Leuten besetzt, hatten den Sieg der Aufständigen herbeigebombt und zum Schluss noch tatkräftig, mit eigenen Spezialkräften, bei der Suche und Ergreifung Gaddafis geholfen. Und nun zündeten diese Menschen, die ohne die Hilfe der USA immer noch unter der Diktatur Gaddafis leben müssten, das amerikanische Konsulat an, und ermordeten den Botschafter.

 Die Us-Amerikaner verstehen die Welt nicht mehr. Aber nicht nur die Amerikaner reiben sich verwundert die Augen und fragen was aus ihrer schönen Revolution geworden ist? Die ganze Rat- und Hilflosigkeit der Politik zeigt sich in dem Appell unseres Aussenministers Guido Westerwelle: „Ich appelliere an die gesamte arabische Welt, jetzt auch zurückzukehren zu friedlichen Protesten.“ Als wenn das irgend jemanden in Kairo oder Bengasi interessieren würde, wenn ein deutscher Aussenminister, mit betroffener Miene, in die Fersehkameras spricht und zu friedfertigen Protesten aufruft.

 Die Politiker, Journalisten, Philosophen und Künstler, denen im Frühjahr 2011 gar nicht genug Bomben auf Tripolis fallen konnten um Gaddafi zu beseitigen, und in deren sozialromantischen Vorstellungen eine demokratische Welle ganz Arabien erfasste, die gar einen arabischen Frühling heraufbeschworen, appelieren jetzt an ihre unbekannten Freunde, doch der Gewalt abzuschwören, der sie vor kurzem noch selbst huldigten und der sie in Syrien immer noch das Wort reden, und fordern sie auf, friedlich zu demonstrieren.

 Das zeigt ein weiteres Mal, das diese Leute, die hier das grosse Wort führen, nicht die geringste Ahnung haben, was in der arabischen Welt wirklich vor sich geht. Sie haben ernsthaft geglaubt, das die paar Oberschichtenkinder auf dem Tahirplatz in Kairo, die an ihren teuren Smartphones herumfummelten, und in wohl gesetzten Worten, in reinstem Oxfordenglisch, ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie Ausdruck verliehen, die Mehrheit der ägyptischen Jugend repräsentierten. In einem Land, in dem die Mehrheit weder lesen noch schreiben kann, faselten diese Leute von einer Facebook-Revolution. Die Aufstände von Tunesien über Libyen, Ägypten, Jemen, Bahrain bis nach Syrien waren kein Schrei nach Freiheit und Demokratie, sondern reine Hungerrevolten.

 Die Machthaber in diesen Ländern, allesamt Diktatoren, konnten sich zum Teil über Jahrzehnte an der Macht behaupten, weil sie immer dafür sorgten, dass die breite, völlig verarmte Mehrheit ihrer Völker satt zu Essen bekamen. Die Einfuhren von Getreide und anderen Nahrungsmitteln wurden zum Teil hoch subventioniert.

 Als die Länder Nordafrikas und der arabischen Halbinsel in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, baten sie um internationale Unterstützung beim IWF und der Weltbank. Die waren bereit Geld zu geben verlangten aber im Gegenzug die üblichen drastische Sparmassnahmen, wirtschaftliche Liberaliserung, Öffnung der Grenzen für ausländisches Kapital und eine rigorose Privatisierung der Staatsbetriebe.

 Die Auswirkungen dieser Massnahmen waren katastrophal. Bauern kamen nicht mehr gegen die industriealisierte westliche Landwirtschaft an und mussten aufgeben, die Nahrungsmittelpreise gingen sprunghaft in die Höhe, in den privatisierten, ehemaligen Staatsbetrieben wurde mit westlichem Kapital gnadenlos  automatisiert und digitalisiert. Beschäftigte wurden massenhaft entlassen. Die kleinen Händler in den Basaren mussten sich der Überlegenheit grosser Handelsketten beugen. Millionen Menschen verloren Arbeit und Brot und machten sich auf, in die grossen Städte. Dort bevölkerten sie die Elendsviertel, in denen es weder sauberes Wasser noch Abwasserkanäle gibt. Sie lebten fortan von Gelegenheitsjobs, von Kinderarbeit, Betteln, kleinen Diebereien und Prostitution.

  Allein die Einwohnerzahl des Kerngebietes von Kairo wuchs in den zwölf Jahren von 1996 bis 2008, in den Jahren also, in denen die Vorschriften von Weltbank und IWF ihre Wirkung entfalteten, von 6,7 auf 7,9 um 1,2 Millionen Menschen. Mit seinen Randgebieten schätzt man Kairo heute auf über 18 Millionen Einwohnern.

 In Syrien strömten etwa 1,5 Millionen Menschen in die Städte des Nordens, weil sie in ihrer Heimat keine Überlebenschancen mehr hatten, da ihnen das Land und das so dringend benötigte Wasser für ihre Felder für landwirtschaftliche und industielle Grossprojekte genommen wurde. Dort übrigens, in diese Flüchtlingsstädten, begann der Aufstand gegen Präsident Assad.

 Alle arabischen Staaten verzeichnen ein enormes Bevölkerungswachstum. In Ägypten waren 2004 33,9% der Bevölkerung jünger als 15 Jahre, in Libyen sind es 20%, in Tunesien 23,2 %, in Syrien 35,2% und im Jemen gar 43%.

 Diese Menschen haben keinerlei Perspektive. Sie wachsen auf in Hunger und Elend und können zum grössten Teil weder schreiben noch lesen. Ihr einziger Halt ist ihr Glaube, der Islam. Diese Jugendlichen erleben zudem, dass der Westen immer mehr zum bestimmenden Faktor in ihren Ländern wird. Sie sehen die militärische Übermacht, empfinden die westlichen Truppen im Irak und in Afghanistan als Besatzer und fühlen sich von den Kriegsschiffen die vor den Küsten ihrer Länder kreuzen, bedroht. Sie fühlen sich durch das Auftreten Israels in der Region gedemütigt und provoziert.

 Hunger, Eland, Perspektivlosigkeit mangelnde Bildung und eine allgemeine Frustration, dass ist der ideale Nährboden für die Scharfmacher in den Moscheen und Koranschulen. Ein Funken genügt, und das ganze Pulverfass fliegt in die Luft. Die Aufstände im Frühjahr vergangenen Jahres waren erst der Anfang. Wenn der Westen so weiter macht und versucht den Menschen im islamischen Raum seine Lebensweise, seinen Kapitalismus und seine Kultur aufzuzwingen, dann wird über kurz oder lang aus den einzelnen Glutnestern ein gewaltiger Flächenbrand, den keine Armee der Welt widerstehen kann.

1 Kommentar:

  1. Ich würde ein wenig ansders argumentieren. Schließlich wirkt es so im Artikel, als seien die Amerikaner schuld an den hasserfüllten Aufständen gerade. Viel mehr deutet sich doch hier ein globales Phänomen an, was in dem Artikel auch ganz nett beschrieben ist. Man sollte eher damit argumentieren, dass auch wenn die Amerikaner, wie alle anderen Staaten ihre wirtschafltichen interessen verfolgen, der Aspekt der Etablierung der Menschenrechte ein netter Beigeschmack ist...

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