Donnerstag, 16. Mai 2013

Die Brüste der Jolie und was uns diese über die Verfasstheit unserer Presselandschaft lehren


 Angelina Jolie hat sich beide Brüste amputieren lassen, weil bei ihr ein Gendefekt festgestellt wurde, der bei Frauen zu einem stark erhöhten Brust- und Gebärmutterkrebsrisiko führt. Diese, für eine junge Frau, schwere Entscheidung verdient Respekt, egal wie man zu solch einer Operation stehen mag.

 Was allerdings absolut keinen Respekt verdient, ist die öffentliche Zurschaustellung diese Schrittes und die Reaktion der Veröffentlichen Meinung. Jolie und die Medien, die in weit übertriebener Weise darüber berichteten, rechtfertigen ihr Tun damit, dass man betroffenen Frauen damit bei der eigenen Entscheidung helfen wolle. Wenn dieses Thema allerdings so drängend ist, dass es in fast allen Postillen im deutschen Blätterwald auf Seite eins bis drei behandelt wird, warum hat die Öffentlichkeit dann nicht schon viel früher davon aus der Presse erfahren? Warum wurde der Gendefekt, der bei etwa drei bis vier Prozent der Frauen auftritt, und die Möglichkeit einer Erkrankung durch eine Brustamputation vorzubeugen, bisher, ausser in ein paar Fachblättern, bisher nicht in der breiten Öffentlichkeit thematisiert?

 Es ist kein Thema von öffentlichem Interesse, es wurde von Jolie und einem Sensationsjournalismus, wie er mittlerweile Gang und Gäbe ist, zu einem Thema gemacht. Eine Meldung, die vor ein paar Jahren noch auf der bunten Seite der Tageszeitungen, in der Yellopress und in den Promimagazinen der Fernsehanstalten Platz gefunden hätte, wird zur Topmeldung des Tages hochgepuscht.

 Ein leuchtendes Beispiel für die Unseriösität des heutigen Journalismus lieferte wieder einmal der Spiegel, der sich unberechtigterweise immer noch Nachrichtenmagazin nennt, mit seinem Ableger Spiegelonline. Die Spiegelleute gelang es, ein tränentriefendes Epos ins Internet zu stellen, das jedem Kitschroman zur Ehre gereicht hätte.

 So erfahren wir, das Lebensgefährte Brad Pitt Angelina Jolie zu dem Eingriff in die Klink begleitete und werden auch nicht von dessen Statement verschont: „Ich habe die Entscheidung miterlebt, ich finde Angies Wahl heldenhaft, wie die so vieler anderer, absolut heldenhaft“.

Jolie revanchiert sich umgehend über die Presse bei ihrem Partner: „Ich habe Glück, dass ich einen Partner habe, Brad Pitt, der so liebevoll ist und mich unterstützt.“ Pitt sei setes an ihrer Seite gewesen während der Operation, lässt uns der Spiegel Einblick in den innersten Kreis der Familie Pitt/Jolie nehmen. Jolie fährt dann laut Spiegelonline fort: „Wir haben es sogar geschafft, zusammen zu lachen.“  Ganz der Medienmensch der Angelina Jolie seit vielen Jahren ist, bedient sie den amerikanischen Traum von der intakten Familie, die im Guten wie im schlechten zusammenhält: „Wir wussten, dass es das Richtige war für unsere Familie und dass es uns näher zusammenbringen würde. Und das hat es."

 Dieses ganze Gesülze, passend zugeschnitten aufs amerikanische Gemüt und den großen Traum vom ewigen Glück, das man sich allerdings hart erarbeiten muss, reicht Spiegelonline aber noch nicht. Also muss Jon Voight, Angelina Jolies Vater, und ebenfalls Schauspieler, noch ins Rampenlicht. Voight, und Spon versäumt nicht, uns diese wundervole Geschichte zu erzählen, war jahrelang mit Jolie zerstritten und beide haben sich erst, laut Spon, 2011 ausgesöhnt, diktiert in Mikrofone und Notizblöcke: „Ich war überrascht wie jeder und tief bewegt von der Art und Weise, wie sie damit umgeht", und weiter, „ich habe sie vor zwei Tagen mit meinem Sohn Jamie gesehen. Wir haben uns getroffen, um seinen Geburtstag zu feiern, mit ihr und Brad. Aber ich hatte keine Ahnung. Es fiel überhaupt nicht auf." Und Spiegelonline zitiert weiter: Er könne seine Liebe und Bewunderung für die Tochter nicht in Worte fassen, so Voight.

 Nach den grossen Gefühlen darf aber auch, ganz "american way of life", das Geschäftliche nicht zu kurz kommen. So hat Jolie auch nicht vergessen den Namen der Klinik zu erwähnen, die den Eingriff bei ihr vorgenommen hat, das „Pink Lotus Breast Centre“. Seitdem ziert das Portrait der Jolie die Internetseite der Klinik. Siegel online zitiert dann auch die Gründerin des Brustzentrums Kristi Funk: „Wir hoffen, dass die Aufmerksamkeit, die sie rund um die Welt erregt, unzählige Leben retten wird“, „mit Hilfe und zum finanziellen Vorteil des Pink Lotus Breast Centre,“ möchte man hinzufügen.

Screenshot von der Internetseite des Pink Lotus Breast Centre http://www.pinklotusbreastcenter.com/

  Spiegelonline wird hier nur stellvertretend für die gesamte veröffentlichte Meinung erwähnt. Von Bild über die Süddeutsche bis hin zu Tagesschau und dem Morgenmagazin des ZDF, dass in jeder Stunde einmal dem Thema mehrere Minuten einräumte, haben alle, sich als seriös bezeichnende Medien, diese, eher dem Boulevard zuzrechnende Nachricht, an prominente Stelle gerückt und sie mit dem nötigen menschelnden Beiwerk versehen, um daraus eine große Story zu basteln. Sie sind, anstatt verantwortungsvollem Journalismus zu betreiben, einer PR-Aktion aufgesessen und haben dieser zu einer weltweiten Topmeldung aufgebauscht.

 Der Vorfall zeigt aber auch eine, immer mehr um sich greifende, Diskussion über die Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft, die an der Lebensrealität der allermeisten Frauen total vorbeigeht. Thematisiert werden Minderheitenthemen, wie eben der, bei drei bis vier Prozent der Frauen auftretende, Gendefekt, der zu Brust- und Gebährmutterkrebs führen kann oder eine Frauenquote in den Aufsichtsräten deutscher DAX-Unternehmen. Die Presse verschwendet ganze Seiten und das Fernsehen wertvolle Sendeminuten in Magazinen und Talkshows, um über einen Personenkreis von vielleicht 300 bis 500 Frauen in Deutschland zu berichten, die überhaupt für einen solchen Job in Frage kommen..

 Die Rolle der Frauen in der Arbeitswelt ist doch aber eine ganz andere. Frauen sind in der Regel unterbezahlt, unterbeschäftigt in Teilzeitjobs und sie machen die Drecksarbeit, die sonst niemand machen will. Synonym für den wahren Stellenwert der Frauen in unserer Arbeitswelt ist die Bezeichnung einiger typischer Frauenberufe, wie Klofrau, Putzfrau, Zugehfrau, Kindermädchen, Krankenschwester, Zeitungsfrau. Alles Berufe, die keinen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben und die saumässig schlecht bezahlt werden, in denen aber Millionen von Frauen ihr ganzes Leben lang ihr Dasein fristen müssen.

 Über deren Lage und über deren tägliche Diskriminierung berichtet niemand. Über diese Frauen reden sich nicht in unendlichen Talkschows Politiker, Journalisten, Künstler und Schauspieler die Köpfe heiß. Wegen dieser Frauen geraten sich nicht zwei Bundesministerinnen dermaßen in die Haare, das die Bundeskanzlerin ein Machtwort sprechen muss.

 Der Eindruck entsteht wieder einmal, dass mit eher operettenhaften Themen, zu ganzen Kampagnen aufgebauscht, von den tatsächlichen Problemen abgelenkt werden soll. So wird die wahre soziale Lage der meisten Frauen verschwiegen. Von der täglichen Diffamierung der Frauen in der Arbeitswelt wird abgelenkt durch eine alberne Quotendiskussion und das tägliche Leid vieler Frauen, wie Rückenleiden, Hautkrankheiten, Burneout und ander psychische Probleme verursacht durch ihre Arbeitsrealität und das Leben am Existenzminimum wird überkleistert von der Brustamputation einer Angelina Jollie und einem Gendefekt bei drei bis vier Prozent aller Frauen auftritt.

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