Samstag, 13. Juli 2013

Merkel, die Unantastbare

 Es war Ende Juni im Willy-Brandt-Haus in Berlin, als Günter Grass in einem Gespräch mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, laut Spiegel sagte Angela „Merkel habe eine "doppelte, gesamtdeutsche Ausbildung" erfahren: als FDJ-Funktionärin in der DDR-Jugendorganisation und später dann unter dem damaligen Kanzler Helmut Kohl. In der FDJ-Zeit hat sie Anpassung und Opportunität gelernt, bei Kohl natürlich den Umgang mit Macht."

 Eigentlich nur eine Feststellung, oder die Meinungsäusserung Grass’s, die man teilen kann, oder der man kritisch gegenüber stehen kann. Was aber danach passierte war schon denkwürdig: In der veröffentlichten Meinung brach ein Shitstorm los, wie man ihn gewöhnlich nur aus den Social-Medien Twitter oder Facebook kennt. Der Spiegel stellt seinem Artikel gleich den Satz voran Die „Äußerungen des Schriftstellers über Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben für Empörung gesorgt“, und als Beleg zitiert er den Mecklenburgischen Ministerpräsidenten Erwin Sellering (SPD), der der Bild zu Protokoll gibt: „Solche Schmähungen des Lebens in der DDR sind unerträglich.“ Andere Blätter, wie die FAZ schwingen gleich die Nazikeule und werfen Grass dessen, selbst offenbarte, ehemalige Mitgliedschaft als siebzehnjähriger in der Waffen-SS vor.

 Eine ähnliche Welle der Empörung löste das Buch Gertrud Höhlers „Die Patin“ fast ein Jahr zuvor aus. Höhler die ihre poitische Heimat auf der genau entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums hat wie Grass, hatte in ihrem Buch Merkel Beliebigkeit vorgeworfen: „ Wer Normen und Werte einer demokratischen Gesellschaft zur Manövriermasse macht, wie Angela Merkel , der arbeitet am Zerfall der Demokratie.“ Und weiter schreibt Höhler: „Die  Ego-Karriere rangiert in jedem Fall vor dem Wohl des Landes und vor Europa. Noch kein deutscher Staatschef hat so kompromisslos die Rangfolge seiner politischen Ziele immer wieder umgeworfen und neu sortiert - um den neuen Mittelpunkt, das eigene Ich.“

 Auch Höhler wurde persölich in aller Öffentlichkeit diffamiert: Es ginge ihr nur um späte Rache, da sie sich als ehemalige Vertraute Helmut Kohls, von Merkel aus dem innerern Kreis der Führung der CDU verdrängt sehe. Kritische Anmerkungen, ob man sie nun teilt oder nicht, über die Beliebigkeit und die Opportunität einer Kanzlerin, die von einem Tag auf den Anderen eine bereits beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke in eine sofortige Abschaltung von acht Atommmeilern umwandelt, die eben noch eine glühenden Verfechterin der Wehrpflicht, im nächsten Augenblick diese abschafft und die Bundeswehr zu einer Berufsarmee umbaut, die finanzielle Hilfe für die ins Trudeln geratenen EU-Staaten  vehement ablehnt weil das gegen die Europäischen Statuten verstosse um dann Milliarden und Abermilliarden von Euro zur Deckung der Schulden dieser Länder auszugeben, sollten eigentlich in einer Demokratie erlaubt, ja geradezu erwünscht sein.

 Bei Merkel ist das anders. Kritik an ihr ist in höchstem Masse unerwünscht. Sie hat eher einen präsidalen Status. Diese mediale Behandlung Merkels führt dann zu so absurden Ergebnissen, dass Merkels selbst, mit einer Zustimmung von annähernd 70 % unangefochten an der Spitze der Beliebtheitsskala steht, während bei ein und der selben Umfrage die von ihr verantwortete Politik mit etwas über 30 % Zustimmung, geradezu abgestraft wurde.

 Wie devot Journalisten Merkel gegenübertreten, konnte man dieser Tage in der Wochenzeitung „Die Zeit“ erfahren. Zwei Edelfedern, Giovanni di Lorenzo und Tina Hildebrandt liessen sich von Merkel einen Ring durch die Nase ziehen und am Strick geführt, dem erstaunten Publikum vorführen. Dabei war das Thema des Interview alles andere als bequem für die Bundeskanzlerin und für jeden engagierten Journalist wäre es ein gefundenes Fressen gewesen, Merkel aus der Reserve zu locken. Es ging um den Ahörskandal der NSA.

 Beispiel gefällig?

 Die beiden Zeitreporter fragen Merkel: „Edward Snowden bekommt nun vermutlich Asyl in Venezuela. In Deutschland hat man das aus formalen Gründen abgelehnt. Es gäbe aber auch andere Begründungen. ihn nach Deutschland zu holen. Hätten Sie das nicht tun müssen, wenn Ihnen wirklich so viel an Aufklärung gelegen ist?“

 Darauf Merkel ganz im Stile des ehemaligen DDR-Politbüros: „Das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt sind nach ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für politisches Asyl oder eine Aufenthaltsgewährung aus anderen Gründen nicht vorlagen.“ Man hört förmlich den Sing-Sang-Ton Erich Honeckers: „ Die Gremien der Deutschen Demokratischen Republik haben entschieden…“

 Lorenzo und Hildebrandt machen einen zweiten vorsichtigen Versuch: „Es gab in der Vergangenheit Fälle wie Lew Kopelew oder Alexander Solschenizyn, in denen Bundeskallzler aus übergeordneten Interessen oder humanitären Aspekten an formalen Kriterien vorbei anders entschieden haben“. 

 Merkel (Honecker) antwortet: „Ich kann nur wiederholen, dass nach Prüfung der bei den Ministerien die Voraussetzungen im aktuellen Fall nicht vorlagen.“

 Das reicht den beiden Topjournalisten. Mehr wollen sie nicht wissen und mehr möchten sie die Kanzlerin auch nicht ärgern. Sie geben lieber der Vorsitzenden des Politbüros eine Möglichkeit eine weitere Steriotype abzusondern, indem sie die selten schlichte Fragen stellen, die ein wenig das Flair des Kinderkanals im Fernsehen erahnen läßt: „Was denken Sie über Edward Snowden?“

 Was soll die Kanzlerin darauf antworten? Wäre sie ehrlich mit sich und ihrem Volk müsste sie in etwa sagen: „Er ist ein verdammter Schweinehund, der mir noch viel Ärger machen kann und dem ich wünsche, dass die USA ihn so schnell wie möglich zum Schweigen bringen.“  Stattdessen flüchtet sie sich lieber in die nächste Plattitüde: „Ich erlaube mir kein persönliches Urteil über einen Mann. über den ich lediglich das eine oder andere lese.“ 

 Und weiter geht das muntere Spielchen „Die Zeit fragt und das Politbüro antwortet“. Die Zeit: „Halten Sie es für verhältnismäßig, dass mehrere europäische Länder dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales wahrscheinlich auf Betreiben der Amerikaner Überflugrechte verwehrt haben?“ 

 Merkels völlig sinnfreie und inhaltsleere Antwort: „Ich kenne die Hintergründe dieses Vorgangs nicht und werde ihn deshalb auch nicht bewerten.“ Den beiden Topjournalisten scheint’s zu reichen.

 "Die Zeit" muss ein volles Papierlager haben. Zwei großformatige Seiten ist dem Verlag dieses muntere, absolut sinnfreie Fragen- und Antwortspiel wert, inclusive eines Portraits unserer Regierungschefin, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt, den Blick sinnend ins Leere, Ungewisse gerichtet.

 Eingeleitet wird die gesammelte Sinnlosigkeit mit ein paar Worten, die uns die Kanzlerin näher bringen sollen: „Als wir hereinkommm, kniet die Kanzlerin auf dem Boden und fummelt an einer Steckdose herum. Der Akku ihres berühmten Handys, mit dessen Hilfe Angela Merkel ihre Partei lenkt ist leer. So aufgeräumt und entspannt wirkt die Kanzlerin, dass man fast denken könnte, sie hätte richtig viel Zeit. So ist es aber nicht, schließlich ist Wahlkampf, die Euro-Krise meldet sich wieder, und Deutschland debattiert über einen Überwachungsskandal.“

 Ja das hat was, das menschelt. Die Kanzlerin, ihre hochwohlgeborene Majestät, höchstselbst lädt sie den Akku ihres „berühmten“ Handys auf. „Aufgeräumt und entspannt“ wirkt sie und das bei all den schweren Problemen, die sie beseitigen muss. Lieber deutscher Michel legt dich wieder schlafen. Deine Probleme, deine Nöte und Ängste sind bei dieser Frau in den richtigen Händen. „Aufgeräumt und entspannt lenkt sie dein Schicksal und das Schicksal Europas und der Welt.

 Zwei Seiten Hofberichterstattung, das ist der Umgang unsere Journallie mit der ehemaligen FDJ-Aktivistin Angela Merkel. Eine Hofberichterstattung für die in der DDR noch Gewalt auf die Journalisten ausgeübt oder die ihnen zumindest angedroht werden musste, findet in den Bundesdeutschen Leitmedien auf völlig freiwilliger Basis statt. Sie prasselt Tag für Tag, Woche für Woche, ähnlich eines Trommelfeuers auf die Bundesbürger ein. Alternativen gibt es nicht.

 Und wenn dann von "Bild" und "Welt" über "Frankfurter Allgemeine" bis hin zur, sich als liberal bezeichnenden, "Zeit" alle das gleiche schreiben, dann wird es irgendwann zur Wahrheit. Nicht nur die Überwachung der Bürger ist schlimmer als sie in dem Roman 1984 geschildert wurde, auch die Presse tut ihr Übriges dazu den Menschen ihre Freiheit zu nehmen und sie zu gut funktionierenden Maschinen zu machen.

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