Freitag, 16. August 2013

Ausgerechnet Müntefering


 Ausgerechnet Müntefering beklagt den dilletantischen Wahlkampf der SPD zur Bundestagswahl am 22.September. Ihm hätten, so ließ Müntefering mittels der Wochenzeitung "Die Zeit" verlauten, ob des stümperhaften Wahlkampfauftaktes seiner Partei die Haare zu Berge gestanden. "Für Steinbrück gab es keine Kampagne, keine Bühne, keine Mitarbeiter, da gab es nichts."

 Wer unvoreingenommen diese Worte, des oft als "alten Fahrensmann" bezeichneten Müntefering vernimmt, der könnte glauben, dieser habe in seiner langen Karriere in den verschiedensten Führungspositionen in der SPD Wahlerfolg an Wahlerfolg gereiht. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Müntefering steht für das historisch schlechteste Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl. 2009 erzielte die SPD mit Müntefering als Parteivorsitzendem ganze 23 Prozent der Wählerstimmen. In seiner Amtszeit als Generalsekretär und Vorsitzender halbierte die SPD ihre Zustimmung beim Wahlvolk annähernd, von 40,9 Prozent 1998 bis auf eben jene 23 Prozent 2009.

 In seiner Zeit als Vorsitzender des größten SPD Bezirks Westliches Westfalen von 1992 bis 1998 und nach Bildung des Landesverbandes Nordrhein Westfalen 1998 als dessen Vorsitzender bis 2001, verlor die SPD von 50 Prozent bis 2000 mit 42,8 Prozent Wählerzustimmung nicht nur annähernd acht Prozent sondern auch die absolute Mehrheit im nordrhein-westfälischen Landtag.

 Müntefering gehört zu der Generation SPD-Führer, die ihre Partei hinsichtlich der Mitgliederentwicklung regelrecht zerlegten. Zählte die SPD unter Willy Brandt in den 70er Jahren über 1 Million Mitglieder, so waren es  Anfang des neuen Jahrhunderts noch 776.000. Müntefering, Schröder und Co schafften es dann in etwas mehr als einem Jahrzehnt die Mitgliederzahl auf 490.000 zu reduzieren.

 Warum also macht gerade Müntefering, der nichts als Niederlagen vorzuweisen hat, jetzt die Welle? Müntefering ist Machtpolitiker: "Opposition ist Mist!" Er wollte und will die Macht, die wirkliche Macht, um jeden Preis. Der Preis war unter Rot/Grün die Agendapolitik. So paradox das klingen mag, hat die SPD doch gerade durch die Agenda 2010 massiv an Stimmen und Mitgliedern verloren. Aber sie rettete sich in die große Koalition. Und hier, endlich, saß er mit am Tisch der wirklich Mächtigen, die, die sich mit ihrem Geld die Macht erkauft haben, deren Geburtstag im Kanzleramt gefeiert wird.

 Rot/Grün ist für Müntefering keine wirkliche Option. Lieber der Juniorpartner in einem dritten Kabinett Merkel, als macht- und hilflose Kanzlerpartei. Für einen Platz am Katzentisch der Reichen und Mächtigen sind er und seine Spiessgesellen bereit, alles zu opfern.

 Sie haben der SPD ihre Identität geraubt und sie haben den Menschen den Glauben und die Zuversicht geraubt, in der SPD einen Vertreter ihrer Interessen zu haben. Wenn Müntefering heute behauptet: „Wir haben auf dem Höhepunkt des Neoliberalismus und Marktradikalismus Pflöcke eingeschlagen, die die Sozialsysteme gegen das Drängen der anderen bewahrt haben“, (Süddeutsche vom 14.08.2013) dann lügt er nicht nur äusserst dreist, sondern er verhöhnt und verspottet die Menschen die der Kanzler Schröder und der Vorsitzende der SPD, Franz Müntefering ins soziale Elend gestürzt haben.

 Die SPD hat ohne Not und ohne jede Notwendigkeit den bereits von der Regierung Kohl arg dezimierten Sozialstaat gänzlich für abgeschafft erklärt. In der Sozialpolitik kam es zu einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel. Seit Schröder und Müntefering trägt nicht mehr die Gesellschaft letzten Endes die Verantwortung für soziales Elend, sondern jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. So waren ab jetzt nicht mehr wirtschaftliche Umstände, Rationalisierungen oder Konkurs des Arbeitgebers schuld für Arbeitslosigkeit, sondern die Verantwortung lag allein beim Arbeitnehmer, getreu des neoliberalen Grundsatzes, nachdem es keine ungewollte Arbeitslosigkeit gibt; der Arbeitnehmer müsse seine Arbeitskraft nur zu einem marktgerechten Preis anbieten. Die Arbeitslosen wurde ab jetzt auch wie Schuldner der Gesellschaft gegenüber behandelt. Sie mussten jede ihnen angebotene Arbeit annehmen, sie  mussten ihre gesamten Vermögensverhältnisse offenlegen und sogar ihre Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt.

 Exemplarisch für die Sichtweise Münteferings sein Ausspruch: „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen!“

 Demgegenüber taten Schröder und Müntefering alles was die neoliberalen Einflüsterer aus Wissenschaft und Wirtschaft wünschten. Sie lockerten den Kündigungsschutz, verringerten die Unternehmenssteuern dramatisch, Gewinne aus Unternehmensverkäufen wurden steuerfrei, die Regeln für den Finanzmarkt wurden weitgehend abgeschafft und die paritätische Finanzierung der Sozialversicherungen zu Gunsten der Arbeitgeber aufgegeben, Stichwort Riesterrente.

 Für die größte Rentenkürzung aller Zeiten war Müntefering, seines Partners Schröder durch die Wahlniederlage von 2005 beraubt, dann sogar ganz allein verantwortlich. Mit Hilfe der Lügenargumentation, eine älter werdende Gesellschaft führe zwangsläufig auch zu einem Offenbarungseid der staatlichen Rentenversicherung, setzte er das Rentenalter schrittweise von 65 Jahren auf 67 Jahre herauf. Da schon heute die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer vor erreichen des 65. Lebensjahres in Rente gehen muss, ist eine Heraufsetzung des Rentenalters nichts weiter als eine gewaltige Rentenkürzung.

 Müntefering, der sein Vermächtnis darin sieht, diese unsoziale und Menschen verachtende Politik zugunsten der Wohlhabenden bis in alle Ewigkeit fortzusetzen, baut schon mal einer katastrophalen Niederlage des Agendamannes Steinbrück, bei der Bundestagswahl vor. Und was eignet sich besser dafür als eine sorgsam vorbereitete Dolchstosslegende. Niemand in der SPD soll nach dem 22. September auf die Idee kommen über eine radikale Änderung der Politik seiner Partei nachzudenken. Schuld an der Niederlage der SPD hat ganz allein die SPD, basta!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen