Samstag, 22. November 2014

Offener, zorniger Brief an Juri Andruchowytsch

Sehr geehrter Juri Andruchowytsch,
zur Eröffnung der Internationalen Buchmesse in Wien haben Sie eine Rede gehalten, die in leicht gekürzter Form im Feuilleton der FAZ am 20. November veröffentlicht wurde: "Wir reden über Werte, ihr redet über Preise"

 Der Tenor ihrer Rede mündet darin, dass Sie den Bürgern der EU vorwerfen, sie sähen nur ihren eigenen finanziellen Vorteil, während die Bürger der Ukraine für die "Europäischen Werte" auf die Strasse gegangen, verprügelt, gefoltert und ermordet worden seien, ja dass sie einen Krieg führen müssten, im Osten ihres Landes, gegen einen übermächtigen, diabolischen Feind, Russland.

 Nun will ich Ihnen persönlich nicht absprechen, dass Sie alles, was Sie getan haben, was Sie gedacht und gesprochen haben, getragen war von diesem Streben nach den sogenannten "Europäischen Werten", von denen mir ehrlich gesagt noch niemand sagen konnte, was diese europäischen Werte sind und wo sie hier, im alten Europa, wie Sie es nennen, diese Werte gelebt werden.

 Sie, und damit verallgemeinere ich, genau wie sie es taten, wohl wissend, dass es Unterschiede gibt, sie alle, die Bürger der Ukraine reden also nicht über Geld wenn sie immer neue Milliardensummen vom "alten" Europa fordern? Geld, dass sie brauchen um ihre Gasrechnung beim verhassten Gegner und über viele Jahre grosszügigem und was ihre Zahlungsmoral betrifft, äusserst langmütigem Lieferanten, Russland, zu bezahlen.

 Sie reden also nicht von Geld, wenn sie von uns fordern sie mit Öl, Gas und Kohle zu beliefern, weil sie nicht in der Lage sind ihre riesigen eigenen Ressourcen der eigenen Wirtschaft und der eigenen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen?

 Ihr Ukrainer redet also nicht von Geld, wenn ihr von uns einen Ausgleich verlangt, für die entgangenen Pachteinnahmen, die ihr von Russland erhalten habt für die Nutzung des Flottenstützpunktes in Sewastopol. Für einen Pachtvertrag, den ihr angedroht hattet, vorzeitig zu kündigen, wodurch ihr Russland dazu veranlasst habt, die Krim in sein Staatsgebiet einzugliedern, um nicht über kurz oder lang gezwungen zu sein einen blutigen, wahrscheinlich für die Welt finalen Krieg gegen die USA zu führen.

 Überhaupt die Krim, sie könnte ein Synonym sein für eure Mentalität des Nehmens. Von einem eurer Landeskinder, Nikita Chrustschow, unberechtigt aus dem Staatsgebiet Russlands herausgebrochen und euch als Geschenk zugeschlagen, reklamiert ihr sie für euch. Und um die Provokation auf die Spitze zu treiben, beraubt ihr der überwiegenden Mehrheit der Bürger der Krim ihre Identität, indem ihr sie dazu zwingt eure Sprache zu sprechen.

 Ihr redet also nicht von Geld, wenn ihr fordert man möge euch Waffen und Euros schicken, damit ihr diesen mörderischen, brutalen Bürgerkrieg gegen eure eigenen Brüder und Schwestern im Osten eures Landes noch brutaler und noch mörderischer führen könnt. Einem Krieg von dem ihr wahrheitswidrig behauptet, er sei euch von eurem ehemaligen Finanzier, dessen Gaben euch nicht mehr genügten, weshalb ihr ihn loswerden wolltet, aufgezwungen worden. Dabei wollten die Bürger des Ostens nur etwas mehr Autonomie, wollten etwas abhaben von den Schätzen, die ihre Männer mit geschwärzten Gesichtern und gekrümmten Rücken aus den lebensgefährlich unsicheren Schächten der Kohlengruben kratzten. Stattdessen habt ihr ihnen eure Granaten und Bomben geschickt und eure Freischärler, voller Verachtung vor den "russischen Untermenschen" mit den von der Kohle schwarzen Gesichtern.

 Sie, Herr Andruchowytsch sagen:
 "Vor kurzem habe ich Fernsehbilder aus Spanien gesehen, wo die Bauern, erbost über die Handelssanktionen der EU gegen Russland, derentwegen sie Probleme hatten, ihre Produkte zu verkaufen - vielleicht Orangen -, als Zeichen des Protestes die EU-Fahne verbrannten. In genau solche Fahnen hüllten unsere Menschen auf dem Majdan die Ermordeten, bevor sie die Leichen in den Sarg legten."
Und empört fügen Sie hinzu:
 "Die einen wollen auch nicht auf wenige Cent ihres Wohlstands verzichten und verbrennen wütend das Symbol des „Systems“, das beschlossen hat, diesen Wohlstand zu begrenzen. Die anderen sterben unter diesem Symbol einen alles andere als symbolischen Tod, denn der Wert der Fahne bemisst sich für sie weder in Cent noch in Euro."
 Es mag Ihnen vielleicht profan erscheinen, dass Menschen dagegen protestieren, dass ihnen der schwer erarbeitete Lebensunterhalt genommen wird, um dabei behilflich zu sein, einen Konflikt auszutragen, den sie nicht gewollt haben und den sie für aberwitzig und gefährlich halten. Was sind schon ein paar Cent, wenn man es gewohnt ist, mit gepumpten Milliarden Krieg zu führen und Oligarchen zu stopfen wie die Vögel, das ihnen untergeschobene Kuckuckskind. Was sind schon ein paar Cent, wenn man es gewohnt ist, das unbezahlbare Gas einfach aus den Leitungen nach Westeuropa abzuleiten, zu stehlen?

 Sie beschreiben mit ein wenig zu viel Pathos, für meinen Geschmack, dass ihre Menschen die Toten des Maiden in Europafahnen wickelten, bevor sie sie begruben. Jene Tote, die ihrer Regierung so wenig wert sind, dass sie bis heute nicht die Umstände ihres Todes geklärt hat. Haben sie übrigens auch die Toten in Odessa in Europafahnen gewickelt?

 Wen meinen Sie mit "den anderen" die unter dem Symbol der Fahne Europas "einen alles andere als symbolischen Tod" sterben? Sind es die Freischärler, die von einem gefährlich überzogenen Nationalismus getrieben in einen sinnlosen (wenn es denn überhaupt einen sinnvollen Krieg gibt) Krieg gegen ihre Mitbürger ziehen, die mit Granaten und Bomben Krankenhäuser und Schulen auseinander kartätschen? Oder sind es diejenigen, denen Ihre in Camouflage gekleideten Kämpfer die Kinder töten, denen sie die Häuser zerstören, denen sie ihr ganzes Hab und Gut nehmen und die keine Möglichkeit für sich mehr sehen, in ihrer Heimat ein friedvolles Leben zu leben?

Vielleicht haben die spanischen Bauern, die sich von Ihnen vorwerfen lassen müssen, nicht einmal auf ein paar Cents verzichten zu wollen, oder ihre Väter, mitgewirkt bei der Befreiung Spaniens vom Faschismus 1975/76, haben Europa, wie wir damals alle dachten, von den Resten des Faschismus, endgültig gesäubert. Von einem Faschismus, der jetzt in der Ukraine fröhliche Urständ feiert. Sie, die Bauern, die zornig Europafahnen verbrannten, oder ihre Eltern, haben gekämpft gegen ein Regime des Totalismus. Sie waren allein, ohne Unterstützung und ohne finanzielle Hilfe aus den USA, ja eher gegen die, den Faschisten Franco seit Jahrzehnten stützenden, USA.

25 lange Jahre hat ihr Land Zeit gehabt euch zu befreien, euch zu emanzipieren von der Pest der Oligarchen. Euer Land, das mit Bodenschätzen gesegnet ist, dass das größte auf der Welt bekannte Gebiet mit Schwarzerde besitzt, das fruchtbarste was es an Ackerboden gibt. Ihr habt große, traditionsreiche Industrien geerbt von der, doch von euch so verachteten, Sowjetunion. Aber was ist aus all diesen Schätzen, diesen Reichtümern geworden? Die Ukraine ist eines der ärmsten Länder Europas. Mit einem Durchschnittsmonatsverdienst von 220 Euro gehört die Ukraine zu den Schlusslichtern in Europa.
"Das, was Etienne Balibar mit dem schönen französischen Wort égaliberté bezeichnet: Freiheit in Gleichheit. Dafür haben sich die Ukrainer erhoben."
  Wo ist eure Freiheit in Gleichheit? Der Maidan, der doch angeblich die Ukraine von den Oligarchen befreien wollte, hatte es endlich, nach viel Irrungen und Wirkungen, nach einem Putsch, nach einer Verfassungsänderung, bei der die Abgeordneten der Rada in die Läufe, auf sie gerichteter Gewehre sahen, zu Präsidentenwahlen gebracht, da wurde mit überwältigender Mehrheit der abgegebenen Stimmen ein Oligarch zum Präsidenten gewählt. Oligarchen wurden als Gouverneure eingesetzt, gründeten Privatarmeen und setzten Kopfprämien auf unliebsame Gegner aus.

 Das Land versinkt in Korruption. Stimmen sind für ein paar Dollar zu kaufen. Die Ukraine ist sicherlich weltweit die einzige Nation, die sich sogar ihre Revolutionen bezahlen ließ. Nicht umsonst wird die Europabeauftragte der US-Regierung, Victoria Nuland, geseufzt haben, der Regimechange in Kiew habe die USA 5 Mrd. Dollar gekostet. Viele "Kämpfer" des Maiden haben sich für ein stattliches Handgeld aus weit entfernten Landesteilen mit dem Bus nach Kiew karren lassen.

 Ihr hattet schon einmal die Chance zur Veränderung. 2004, bezahlt von dem Spekulanten und Menschenverächter Georges Soros wurde eine Regierung, korrupt und durch Wahlfälschung an die Macht gekommen, aus dem Amt gejagt. Gewählt habt ihr euch dann den am US-amerikanischen Tropf hängende Juschtschenko und die Oligarchien Timoschenko, die Gasprinzessin. Nach den Parlamentswahlen in diesem Jahr, bei denen genau so getrickst und geschoben wurde, wie bei allen Wahlen zuvor, habt ihr wieder einen Oligarchen und einen, am finanziellen Tropf der USA hängenden Politiker als Präsident und Ministerpräsident - nur mit umgekehrten Vorzeichen - diesmal ist der Oligarch der Präsident.

 Warum also behauptet ihr, ihr würdet für die europäischen Werte kämpfen, stellvertretend für uns? Warum beleidigen Sie, Herr Andruchowytsch, hart arbeitende Menschen in Spanien? Warum suggerieren sie uns, wir hätten einen Feind, Russland, den ihr für uns aufhaltet, damit er uns nicht versklavt?

 Euch interessieren die "Europäischen Werte" einen Scheißdreck. Ihr glaubt, bei uns mehr abstauben zu können, als bei eurem bisherigen Finanzier. Ihr kennt nur einen Wert, den Wert des Dollars.

 Aber ihr werdet lernen müssen, dass ihr vom Westen nichts geschenkt bekommt. Ihr werdet uns eure Bodenschätze überlassen müssen, euer Ackerland.

 Ihr werdet für einen Hungerlohn in Fabriken arbeiten müssen, die einmal euch gehört haben, die aber jetzt den Wohlstand und den Luxus in Europa und den USA mehren. Dort werdet ihr Nobelautos zusammenschrauben, die ihr euch niemals leisten können werdet, ihr werdet Kühlschränke Küchenherde, Waschmaschinen bauen Computer und Fernsehgeräte, die größer sind als eure Wohnzimmer.

 Euer Wohl und Wehe wird von dem Urteil einiger weniger Experten von IWF und Weltbank abhängen, die alle drei Monate nachprüfen, ob ihr auch brav ihre Vorgaben erfüllt habt. Diese Experten werden euch auch sagen, wie ihr euer Land, euer Zusammenleben und eure Politik zu gestalten habt.

 Eure Kinder und Jugendlichen, eure Intelligenz, die Ärzte, Hochschulprofessoren, Ingenieure werden euer Land verlassen, weil sie keine Zukunft mehr sehen in der Ukraine. Aber nicht nur die Gebildeten, die Privilegierten werden euer Land verlassen. Männer werden ihre Frauen und Kinder verlassen, Frauen ihre Kinder bei den Großeltern zurücklassen, um im Westen Spargel zu stechen, Tomaten oder Erdbeeren zu ernten, um als rechtlose Wanderarbeiter herumzuziehen im "alten Europa". Sie werden in menschenunwürdigen Unterkünften hausen müssen, damit sie von ihrem Hungerlohn auch noch Geld nach Hause schicken zu können. Und als Dank für ihre billigen Dienste wird man sie auch noch wie Aussätzige behandeln.

 Und vielleicht werden dann auch Sie, Herr Andruchowytsch, die spanischen Orangenbauern verstehen, die aus Zorn die Europafahne verbrannt haben.

3 Kommentare:

  1. quod erat demonstrandum!

    quo vadis, ukraine?

    AntwortenLöschen
  2. Brillant, Sie laufen auf Höchstform lieber W.J. Ich kann Ihnen nur zustimmen.
    Schreiben Sie doch bitte offene Briefe dieses Kalibers an unsere "Volksvertreter", wie Sigmar der Lügner, Angela die Scheue, oder Wolfgang der Böse-Schäuble.

    AntwortenLöschen