Sonntag, 22. Januar 2012

Der Traum vom eigenen Heim und der Frust der Vorstädte

 Der Sonntag ist der Tag der Woche an dem sie sich am auffälligsten ausbreiten, an dem sie sich wie ein schweres erstickendes tuch über alles legen, die Öde und Langeweile in den Vorstädten, den Einzel- und Reihenhaussiedlungen. Hingeklotzt in wenigen Monaten zwanzig, dreissig Häuser. Erdgeschoss: Wohn- Essbereich, Küche, Gäste-WC, im Ober- oder Dachgeschoss: Schlafzimmer, Bad und zwei Kinderzimmer. Eine Garage mit möglichst langer Auffahrt für den Zweitwagen, Terrasse aus Betonplatten aus Serienfertigung, Rasenfläche, Begrenzung aus Kirschlorbeer oder schnell wachsenden Koniferen drum herum, fertig. So sieht er aus der Traum der Deutschen, der in Wahrheit ein Albtraum ist.

 Hier, wo sich noch vor ein paar Jahren Felder und Wiesen erstreckten, wo Vieh weidete, wo die Jahreszeiten an den bestellten Äckern abzulesen  waren, haben weiblicher Nestbau- und der männlicher Beschützertrieb den Boden seiner Bestimmung beraubt, haben ihn in ein ödes Grün, in eine Wüste aus Stein, Betonplatten und Rasen verwandelt. Bagger, Kräne, Baumaschinen haben in kürzester Zeit eine neue Siedlung geschaffen. Aber Urbanität und Lebensqualität konnten sie nicht bauen.

 Was treibtdie, zumeist jungen Menschen in diese Einöde, in diese Wüste aus Menschenhand? Es ist der Traum vom kleinen privaten Glück. Ein guter Job, ein gutes Einkommen, eine tuffe Frau, ein treu sorgender Mann, zwei wohl geratene Kinder, ein schickes Mittelklasseauto, ein Haus, eine Anbauküche, eine Wohnlandschaft, eine Schrankwand und eine Terrasse nach Süden mit gepolsterten Gartenmöbeln und Grill, mehr will man nicht. Dafür wird gespart, wird auf so manches verzichtet und sich schliesslich und endlich bis zur Halskrause verschuldet.

 " Wir zahlen für unser Eigentum und werfen unser Geld nicht irgendwelchen Vermietern in den Rachen!" Das mag auf den ersten Blick stimmen, sieht man allerdings genauer hin entpuppt es sich bestenfalls als ein schöner Traum, der nicht selten zum Albtraum wird. Nehmen wir ein junges Paar, er Anfang dreißig, sie Ende zwanzig, zwei kleine Kinder. Sie haben eine gewisse Summe angespart, kaufen ein Grundstück und bauen eines dieser architektonischen Schandmale aus dem Baukasten der Immobilienhaie. Es ist noch keine Grube ausgehoben, noch kein Stein auf den anderen gesetzt, da haben sich die zwei schon in ein Gewirr aus Zahlungen, Gebühren, Vorschriften und Abhängigkeiten verstrickt dem sie ab jetzt bis ans Ende ihrer Tage nicht mehr entrinnen werden. 30, 35 Jahre werden sie nun zahlen, ihre Kredite und Hypotheken bedienen.

 Alles wird sich ab jetzt um das Haus drehen. Sie werden ihre Freizeit damit verbringen es zu hegen und zu pflegen. Sie werden Rasen mähen, Straße fegen, Hecke schneiden, immer wieder anfallende Reparaturen ausführen, und für die irgendwann anstehende Erneuerung der Heizungsanlage, dem Neuanstrich der Fassade und der Behebung von  Schäden am Dach Geld an die Seite legen.
Irgendwann dann, nach eben diesen 30 oder 35 Jahren, werden sie dann wenn alles gut geht, wirklich Eigentümer ihres Häuschens sein. Sie sind alt geworden, beziehen in ein paar Jahren Rente und die Kinder sind aus dem Haus. Es ist still geworden. Das Treppen steigen hinauf ins Bad und Schlafzimmer wird immer beschwerlicher und der Rasen ums Haus herum macht keinen Spass mehr, sondern ist verpflichtende Mühe.

 Gern würde man das Haus an die Kinder weitergeben, würde sich eine kleine gemütliche Wohnung suchen, irgendwo, wo es nicht so elend weit ist zum Einkaufen, zu Arzt, Apotheke, Frisör und Fußpflege. Aber die Kinder wollen nicht, leben längst ihr eigenes Leben, sind auf halb Deutschland verstreut. "Verkauft doch die alte Hütte und macht euch noch ein paar schöne Jahre."
Und dieses Szenarium ist noch das Bessere.

 Kommt es schlechter, dann wird die Last zu groß für zwei Menschen. Dann zerbrechen Liebe, Gemeinsamkeit, Vertrauen an der Grösse der selbst gestellten Aufgabe. Dann geht die Ehe auseinander, das Haus muss verkauft werden. Oder das Leben verläuft anders als geplant. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Hartz IV, lassen die Verpflichtungen zu einer erdrückenden Last werden. Das Haus wird versteigert. Zurück bleiben ein Berg von Schulden und schlimmstenfalls die Privatinsolvenz.

 Aber heute ist Sonntag, da wollen sie ausspannen und unser Glück geniessen. Die Woche war anstrengend genug. Er hat fünf Tage in der Woche von morgens bis abends gearbeitet, ist täglich etliche Kilometer zur Arbeit gefahren und wieder nach Haus, hat im Stau gestanden und vor seinem Chef gebuckelt. Sie hat längst den Traum von einer eigenen Karriere an den Nagel gehängt. Hat eine schlecht bezahlte Halbtagsstelle angenommen. Morgens die Kinder zur Schule gefahren, mittags nach der Arbeit sie wieder abgeholt, sie zum Sport, zur Nachhilfe, zum Ballett, zu Freunden gefahren, das Haus sauber gehalten, Essen gekocht.

Am Samstag ist man in den, am anderen Ende der Stadt liegenden, Supermarkt gefahren und hat die Wochenendeinkäufe erledigt. Nachmittags hat er Rasen gemäht, Hecke geschnitten, Auto gewaschen und Sie hat sich abgemüht mit den Arbeiten im Haus, die die ganze Woche liegen geblieben sind, Wäsche waschen Keller wischen, den Kindern in ihren Zimmern hinterher räumen.

 Der Sonntag ist frei. Da wird entspannt, ausgeschlafen. Aber was fängt man an mit sich? Bei schönem Wetter, im Sommer die Terrasse, ein Buch. Irgendwann wird's langweilig. "Lass uns spazieren gehen!" Man läuft die Strassen ab, die man in- und auswendig kennt, Einfamilienhäuser mitten in ebenso öden Grünflächen wie man es selbst zu Hause hat. Abends grillen, ein Bier, ein Glas Wein, danach etwas Fernsehen, den Tatort, dann zeitig zu Bett, morgen früh ist die Nacht vorbei.

 Im Winter, wenn das Wetter schlecht ist, liegt die Familie in der teuren Wohnlandschaft und starrt den ganzen Tag auf den riesigen Flachbildschirm, die Kinder nerven. Sie langweilen sich, fangen an sich zu streiten. "Ab in eure Zimmer!" Der Haussegen hängt schief.

 Viele ertragen das nicht auf Dauer. Der Kasten Bier steht im Keller, die Flasche Schnaps im Kühlschrank. Der Alkohol entspannt, beruhigt die Nerven. Wenn man seine Abhängigkeit bemerkt , ist es schon zu spät. Es herrscht viel Frust und Suff hinter den kleinen blank geputzten Fassaden der Einfamilienhäuser.

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