Mittwoch, 26. Juni 2013
Manipulationen bei der Bundesagentur für Arbeit 2002 und 2013 und wie unterschiedlich sie von Presse und Politik genutzt wurden
Die Bundesanstalt für Arbeit steht in der Kritik. Der Bundesrechnungshof wirft ihr Manipulation der Zahlen und Ineffektivität vor. In einer Untersuchung, so der Bundesrechnungshof habe man Schwächen im System erkannt. So stehe nicht die eigentliche Aufgabe, Menschen in Arbeit zu bringen im Vordergrund, sondern die Produktion möglichst günstiger Zahlen. Diese Vorwürfe sind nicht neu. Im Jahr 2002 hatte der Bundesrechnungshof ebenfalls über manipulierte Zahlen und Ineffektivität bei der Vermittlung geklagt.
In beiden Jahren, sowohl 2002 als auch in diesem Jahr stehen im Herbst Bundestagswahlen an. Damit ist es aber auch schon vorbei, mit den Parallelen. Während der Skandal bei der Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr bestenfalls als Randnotiz auf den zweiten und dritten Seiten in der Presse Platz fand, machte die versammelte Journalie 2002 ein Riesenfass auf.
Am 4. Februar 2002 berichtete die Süddeutsche in ihrer Online-Ausgabe das erste Mal über Unregelmässigkeiten bei der BA. Die Tagesschau brachte eine kurze Meldung. Am 5. Februar folgte dann ein ausführlicher Artikel in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel: „Vernichtende Kritik an den Arbeitsämtern. 70% der gemeldeten Stellenvermittlungen falsch“.
Danach brach ein mehrwöchiger Sturm in allen Medien der Republik aus. Am 21. Februar trat der Chef der damaligen „Noch-Behörde“, Bernhard Jagoda zurück und am 27. März übernahm sein Nachfolger, Florian Gerster, die Leitung der BA. Am 22. Februar bereits, setzte der damalige Kanzler Gerhard Schröder dann die sogenannte Hartz-Kommission ein, die im August des gleichen Jahres bereits das Ergebnis ihrer Arbeit präsentierte. Die Folgen sind bekannt und inzwischen für Millionen von Menschen bittere Realität geworden.
Aus der Bundesanstalt für Arbeit wurde die Bundesagentur für Arbeit, aus der Behörde wurde eine "bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung". Aus Arbeitssuchenden wurden Kunden, aus dem alten Arbeitsamt vor Ort wurden Arbeitsagenturen oder Jobcenter und die Arbeitsvermittler hiessen jetzt Fallmanager. Als erstes aber wurde aus dem guten, altehrwürdigem Präsidenten ein Vorstandsvorsitzender mit erheblich erhöhten Bezügen.
Ansonsten änderte sich eigentlich nichts. So beklagte der Spiegel im Februar 2002: „ In zehn Landesarbeitsämtern, 181 Arbeitsämtern und 660 Geschäftsstellen der Republik arbeiten 90 000 Leute.“ Heute, 11 Jahre später, hat die Bundesagentur 108.536 Mitarbeiter, 18.000 Tausend mehr als 2002. Doch halt, etwas hat sich doch verändert: Während 2002 alle Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz bei der Bundesanstalt hatten, haben bei der heutigen Bundesagentur fast 15.000 Menschen nur noch einen zeitlich begrenzten Arbeitsvertrag oder sind gar von einer Zeitarbeitsfirma ausgeliehen.
An der Arbeitsweise hat sich allerdings wenig bis gar nichts geändert, auch wenn der Präsident der Agentur, Frank-Jürgen Weise, heute als Antwort auf die Manipulationsvorwürfe behauptet: „Wir arbeiten für Menschen, nicht für Zahlen.“ So berichtet der Spiegel bereits am 22.06.2009 von einem Brandbrief des Personalratsvorsitzenden Einsiedler an die Leitung der Bundesagentur, in dem dieser sich über Belastungen der Angestellten durch ein System des Contollings und der Statistik beklagt, das den Mitarbeitern kaum noch Zeit für ihre eigentliche Aufgabe lasse. Zu den Zahlenanforderungen aus der Zentrale in Nürnberg, so Einsiedler kämen dann oftmals noch zusätzliche Forderungen der Regionaldirektionen und der Chefs der Arbeitsagenturen für eigenen Statistiken, um sich gegenüber der Zentrale abzusichern.
Während die Bundeagentur also, nach wie vor, vor allem sich selbst verwaltet und beschäftigt, bringen die anderen Hartz-Reformen den Betroffenen prekäre Arbeitsverhältnisse, eine überbordende Überwachung und einen tiefen Sturz in soziales Elend. Den Steuerzahlern aber, haben sie bisher eine hohe finanzielle Belastung gebracht. Zwischen Januar 2005 und Dezember 2012 kosteten Arbeitslosengeld II und Sozialgeld demnach insgesamt 178,7 Milliarden Euro, so hat die Bildzeitung errechnen lassen. Für Unterkunft und Heizung, die von den Kommunen getragen werden müssen, wurden 106,8 Milliarden Euro fällig. Umschulungen und Weiterbildungskurse verschlangen im gleichen Zeitraum 38,8 Milliarden Euro und eine fast gleichgroße Summe, nämlich 31,3 Milliarden Euro verbrauchte allein die Bürokratie.
Warum also das Ganze? Und warum in 2002 der gewaltige Medienhype und heute 2013 nur Notizen auf Seite zwei oder drei?
Dafür dürften zwei Gründe ausschlaggebend sein. Zum ersten: In beiden Jahren standen, wie bereits oben erwähnt, Bundestagswahlen an. Während aber 2002 eine bei den Eliten ungeliebte Koalition aus SPD und Grünen regierte, stellen die gegenwärtige Regierung unter Angela Merkel, die CDU/CSU und die FDP.
2002 hatten die Edelfedern der Nation, hauptsächlich, neben den üblichen Verdächtigen bei der Frankfurter Allgemeinen, der Welt und dem Focus, der Stern und der Spiegel beschlossen, die ohnehin wackelnde, Regierung Schröder/Fischer aus dem Amt zu schreiben. Da kamen ihnen die Unregelmässigkeiten bei der BA gerade recht. Dem damaligen Zeitgeist, nachdem alles Staatliche Teufelswerk, ineffizient und teuer sei und alles Private hoch effektiv und für den Bürger billiger sei folgend, versuchten die Blätter, der SPD auf ihrem ureigensten Politikfeld, der sozialen Gerechtigkeit, eine herbe Schlappe beizubringen. Denn was ist unsozialer, als wenn wie damals, über vier Millionen Menschen ohne Arbeit sind, und die für sie zuständige Behörde um sich selbst kreist und dabei auch noch die Öffentlichkeit mit falschen Zahlen täuscht? Ein gefundenes Fressen also.
Heute hingegen herrscht eine, bei den Journalisten äusserst beliebte Kanzlerin Merkel in Berlin. Sie, gilt es, unter allen Umständen im Amt zu halten. Da würde sich ein erneuter Skandal bei der Arbeitsverwaltung nicht sehr gut machen. Also wird er klein geschrieben. Lässlichkeiten, die verzeihbar sind und die mit einer geringen Justierung an ein paar Stellschrauben aus der Welt geschafft werden können.
Der zweite Grund für die unterschiedliche Reaktion auf die Manipulationen bei der BA war der, bereits oben erwähnte, vorherrschende Zeitgeist. Nach einem jahrelangen Trommelfeuer, vor allen Dingen aus dem konservativen bis reaktionären Lager der Politik und der Wirtschaft, hatte sich die Ansicht über die Verantwortlichkeit für die zunehmende Arbeitslosigkeit in den Köpfen der Menschen grundlegend gewandelt. Hatte man bisher die Arbeitslosen vornehmlich als Opfer einer sich wandelnden Arbeitswelt gesehen und ihnen dafür einen finanziellen Ausgleich und eine umfassende neue Qualifizierung zugestanden, so hatte sich das Bild des armen unverschuldent in die Arbeitslosigkeit geratenen in ein Bild des faulen, auf Kosten der Allgemeinheit lebenden Parasiten gewandelt. Kohls Ausspruch von der sozialen Hängematte war allgemeine Ansicht geworden.
Während nun die Presse meinte, diesen Zeitgeist nutzend, Schröder aus dem Amt schreiben zu können, nutzte dieser die Gelegenheit zu einem umfassenden Angriff auf den ungeliebten Sozialstaat. Schröder zeigte wieder einmal den ungebremsten Willen eines angeschlagenen Boxers, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden.
Längst selbst zu den Neoliberalen gewechselt (Genosse der Bosse), sah er seine Chance gekommen seine widerstrebende Partei in einem staatsstreichartigen Verfahren auf die gänzliche Umkehr von ihrer bisherigen Linie, die Schutzmacht der sozial Benachteiligten zu sein, einzuschwören. Binnen weniger Tage setzte er die sogenannte Hartz-Kommission ein, die in wenigen Monaten, noch vor der Bundestagswahl, die Reformen am Arbeitsmarkt vorstellte, übrigens die Blaupause eines, bei der Bertelsmannstiftung erarbeiteten Massnahmenkatalogs.
Kerngedanke war der alte Ordoliberale Leitsatz, dass Arbeit eine Ware wie jede andere auf dem Markt sei. So bemesse sich der Wert der Arbeit einzig und allein an Angebot und Nachfrage. Werde mehr Arbeitskraft auf dem Markt angeboten als abgefragt werde, müsse der Anbieter den Preis seiner Arbeitsleistung so weit senken, bis es für die Unternehmer rentabel sei, ihn einzustellen. Aus dieser Denkweise wurde dann auch die Ansicht abgeleitet, Arbeitslosigkeit sei kein Schicksal, sondern von den Arbeitslosen so gewollt, Kohls Hängematte lässt grüssen.
Schröder gelang sein Bubenstück. Selbst die hartleibigen Arbeitgeberverbände lobten die Hartzreformen in den höchsten Tönen und Institutionen, wie die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", eigens von den Arbeitgebern ins Leben gerufen und jährlich mit acht Millionen Euro finanziert, um Sozialdemokraten von der Macht fernzuhalten, kamen nicht umhin, Schröders „Reformen“ zu verteidigen. Der Rest ist Geschichte. Schröder gewann die Wahl im Herbst 2002 knapp vor seinem Herausforderer, dem Bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, nicht nur wegen seiner Ablehnung des Irakkrieges der USA und seiner guten PR beim Oderhochwasser, sondern auch, weil er den Angriffen gegen seine Regierung durch eine durch und durch konservative Presse weniger Projektionsfläche bot.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen