Ganz schummrig konnte einem werden, gefährde doch, so die Claqueure des Mainstreams, eine Verweigerung der Wahl durch die Wähler, einen besseren Klimaschutz, eine prosperierende Wirtschaft, soziale Standards, Freiheit, Demokratie, die Menschenrechte, kurz die Errungenschaften der Bürgergesellschaft. Wer nicht wählen gehe, stärke die Parteien des rechten Randes, gäbe seine Stimme indirekt den Demokratiefeinden, spreche sich letzten Endes aus gegen Presse- und Meinungsfreiheit und stärke die Hassprediger im Internet.
Alles erwartbar, wenn auch nicht in dieser medialen Wucht. Nicht erwartbar war der fehlende Russe. Der Russe, der uns bedroht, der uns beeinflusst. Die Gefahr für Leib und Leben kam dieses mal nicht von aussen. Sie lauerte im Inneren - bei den ewig gestrigen, den Wutbürgern. Aber auch hier fehlte der Russe. Weiß der eifrige Konsument des Mainstreams doch spätestens seit den Präsidentenwahlen in den USA, dass der Russe die Schmuddelkinder vom rechten Rand, nicht nur medial unterstützt.
Es schien den Wahlkampfstrategen der Parteien wohl wenig opportun mit der Gefahr von aussen zu werben. Die Gefahr eines Rohrkrepierers war zu groß. Erfahrungen haben gezeigt, das die Wähler nicht so dämlich sind, wie die Eliten sie gerne hätten. Macht man die Gefahr von jenseits der östlichen Grenzen zu einem Thema, dann muss man vergewärtigen, dass unter Umständen unangenehme Fragen zur Friedensunion gestellt würden. Es könnten Fragen zur Hochrüstung, zu Verletzungen des Völkerrechts durch die EU oder einzelne Staaten der Gemeinschaft gestellt werden.
Dieses Mal, so war augenscheinlich festgelegt worden, kam die Gefahr von innen. Was allerdings ausgerechnet die Wahl zum Europäischen Parlament mit der Gefahr von rechts zu tun hat, wurde uns eigentlich nicht erklärt.
Höchstens zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent, so sagen die Meinungsumfragen, werden die rechten und rechtspopulistischen Parteien erhalten. Das ist leider eine ganze Menge und das ist auch nicht schön, aber das ist auch nicht existenzgefährdend für unsere Gesellschaftsordnung. Es ist vielleicht etwas unbequem für die Durchregierer. Sie müssen sich mit anderen Kräften einigen, Kompromisse machen um Mehrheiten gegen rechts zu organisieren - aber ist das nicht Sinn demokratischer Prozesse?
Aber fragen wir uns doch einmal, warum eine hohe Wahlbeteiligung bei der sogenannten Europawahl, die in Wirklichkeit nur eine Wahl zum Europäischen Parlament ist, den etablierten Parteien wirklich so wichtig ist?
In Wirklichkeit ist das ganze Wahlspektakel ein riesiger Schwindel. Das fängt schon damit an, dass die Wahl zum Europäischen Parlament in Europawahl umbenannt wird, so als würde in den Wahlkabinen eine Entscheidung über Europa gefällt. Dabei ist das Parlament unter den Institutionen, dem Europäischen Rat, also dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, dem Rat der Europäischen Union, umgangssprachlich Ministerrat, der Europäischen Kommission und last und leider auch least, dem Europäischen Parlament, dem schwächsten der europäischen Gremien.
Die Gewaltenteilung, der Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie ist in Europa ausgehebelt. Für gewöhnlich ist das Parlament der Gesetzgeber. Es kann auf eigene Initiative Gesetze beschliessen und erlassen. Ihm gegenüber steht die Exekutive, die Regierung, in Europa die Kommission. Dem Europäischen Parlament fehlt das Initiativrecht. Es darf nur Gesetze, die vom Ministerrat oder der Kommission eingebracht werden, beschliessen oder ablehnen. Die Abgeordneten, die wir also Sonntag wählen sitzen, überspitzt formuliert, herum und warten, das ihnen Gesetzesvorlagen vom Ministerrat oder der Kommission vorgelegt werden. Ein ganz wichtiges Recht, selbst gestalterisch tätig zu werden fehlt dem Parlament.
Ein weiterer Punkt, der allen demokratischen Gepflogenheiten widerspricht ist, dass die Mitglieder des Ministerrates, eigentlich Angehörige der Exekutive, plötzlich zu Mitgliedern der Legislative werden, da sich das Parlament den Gesetzgebungsprozess mit dem Ministerrat, der hier wie eine zweite Kammer fungiert, gleichberechtigt teilt. Das heißt, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten direkten Zugriff auf die Gesetzgebung der EU haben. Ein Unding in einer Parlamentarischen Union und eine deutliche Schwächung des Bürgerwillens, dessen Vertreter die Abgeordneten ja sein sollen.
Das Gestzgebungsverfahren läuft also folgendermassen ab: Die Kommission bringt einen Gesetzentwurf ein, der in jeweils zwei Lesungen vom Parlament und Ministerrat beraten und verabschiedet wird. Sind sich Rat und Parlament uneinig, so wird in dritter Lesung in einem Vermittlungsausschuss noch einmal beraten um einen Kompromiss zu finden.
Wer sich bereits jetzt fragt, warum denn nun dieser Hype, dieser mediale Aufwand um ein Parlament zu wählen, dessen Möglichkeiten äusserst begrenzt sind, der wird sich sicher veralbert vorkommen, wenn er erfährt, dass das oben beschriebene Verfahren praktisch nicht mehr zur Anwendung kommt. 93 % der Entscheidungen in der 7. Legislaturperiode, von 2009 - 2014 wurde durch den sogenannten informellen Trilog entschieden. In einem Dialog von Vertretern des Parlaments, des Ministerrats und, wie es heißt, in vermittelnder Funktion, Vertretern der Kommission, höchstens jedoch 10 Personen, werden Gesetze und Vorschriften für über 400 Millionen Menschen in der EU beraten und beschlossen. Der Clou, die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Protokolle werden nicht angefertigt.
So etwas nennt man wohl ein Paradies für Lobbyisten. Anstatt in mühseliger Kleinarbeit die 750 Abgeordneten des Plenums zu bearbeiten, reicht es aus, 10 Leutchen zu beeinflussen. Ein Gesetzgebungsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
So kam denn auch das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2009 zu dem Urteil, das Europäische Parlament habe nur eine eingeschränkte demokratische Legitimation:
"Das Europäische Parlament ist weder in seiner Zusammensetzung noch im europäischen Kompetenzgefüge dafür hinreichend gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen als einheitliche politische Leitentscheidungen zu treffen. Es ist gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen nicht gleichheitsgerecht gewählt und innerhalb des supranationalen Interessenausgleichs zwischen den Staaten nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen. Es kann deshalb auch nicht eine parlamentarische Regierung tragen und sich im Regierungs-Oppositions-Schema parteipolitisch so organisieren, dass eine Richtungsentscheidung europäischer Wähler politisch bestimmend zur Wirkung gelangen könnte."Wofür aber dann das ganze Getue, diese schon fast an Nötigung grenzende ständige Aufforderung wählen zu gehen, wenn die Mächtigen uns, das dumme, dumme Volk nach allen Möglichkeiten der Kunst von jeglichen Entscheidungen fernhalten?
Sie brauchen uns, unsere Stimmen, als demokratische Legitimation für ihre verbrecherische Politik. Für ihre Kriegstreiberei, ihre asoziale Sozialpolitik, ihre betrügerische Finanzpolitik, als Komplizen ihrer mörderischen Flüchtlingspolitik, als Handlanger bei den, von der EU finanzierten Morden an unschuldigen Menschen auf dem Mittelmeer, bei der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen, der Verpestung der Luft, der Vergiftung des Wassers, der Erosion unserer Böden, der gnadenlosen Ausbeutung der Meere. Darum gehen wir morgen wählen.
Eines, nicht mehr fernen Tages, wenn unsere Kinder und Enkelkinder fragen, warum sie nicht mehr leben können auf diesem Planeten, dann werden sie auf uns zeigen und werden sagen, die Mehrheit hat es so gewollt.
"Wofür aber dann das ganze Getue, diese schon fast an Nötigung grenzende ständige Aufforderung wählen zu gehen, wenn die Mächtigen uns, das dumme, dumme Volk nach allen Möglichkeiten der Kunst von jeglichen Entscheidungen fernhalten?" Die Frage ist so zentral, dass die Antwort eine Gegenfrage hervorruft: Wer hat die politische Macht? Sie liegt offensichtlich weder in Deutschland, geschweige in der EU oder einem Mitgliedsstaat der EU oder einem anderen Staat mit Repräsentativer Demokratie in Händen des "Staatsvolkes". Und was passiert aktuell?! Fritz R. Glunk verfasste dazu ein Essay, eine Art Augenöffner: 'Regieren ohne Regierung' https://neue-debatte.com/2018/12/04/regieren-ohne-regierung Die Souveränität der Menschen geht über auf Konzerne und Juristen, die ein Recht installieren, was außerhalb jeder Einflussnahme der Bevölkerung oder gar der Parlamente angesiedelt ist. Der Begriff Feudalismus drängt sich auf, der als moderner Kapitalfeudalismus an die Stelle seiner Ahnen rückt.
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