Mittwoch, 8. August 2012

Neuer Wein in alten Schläuchen - Spiegel-online: Alte sind Schuld an der Eurokrise

 Jetzt ist es raus, Schuld an der Eurokrise sind nicht etwa inkompetente Politiker, zockende Banker oder unbelehrbare Ökonomen, Schuld an der ganzen Misere sind die Alten, die Babyboomer, die in gefestigten Positionen sitzen, während die Jungen keine Arbeit bekommen. Spiegel-online, die allmorgendliche Pflichtlektüre der deutschen Pseudointellektuellen hat ein uraltes Lügenmärchen aus der Zeit, als die privaten Rentenzusatzversicherungen, Riester und Co, heiss diskutiert wurden, wiederbelebt.

 Die damaligen, von der Versicherungswirtschaft aufgebauten Mietmäuler Raffelhüschen, Biedenkopf, Riester, Rürup und wie sie alle geheissen haben, hatten aus Frust, weil kein Mensch die so genannten Rentenprodukte der Finanzdienstleister haben wollte, den Krieg der Generationen erfunden. Nach dem Motto, wenn der Enkel dem Opa nur lange genug die Hölle heiss macht, dann schenkt der dem schon einen Vertrag.

 Der Spiegel, auch damals schon, mehr der Auflage als der Wahrheit verpflichtet, sah die Möglichkeit, endlich sein Image zu verjüngen. Er wollte weg von dem Bild des typischen Spiegellesers, dem in die Jahre gekommenen, geistig und optisch in den frühen Siebzigern stehen gebliebenen Lehrer, mit dem ungepflegten grauen Zottelbart, den selbst gestrickten Wollsocken und den Birkenstocksandalen. Für die Anzeigenkunden musste unbedingt die Zielgruppe verjüngt werden.

 Darum stieg er voll in die Kampagne ein und gab den Lügenmäulern freien Raum für ihre Hetzkampagne gegen die ältere Generation. So konnten diese die Alten beschimpfen, die angeblich mit ihren Renten und Pensionen das Volksvermögen aufzehrten. Die als riesige Lobbygruppe dafür sorgte, dass die Politik nur Entscheidungen zu ihren Gunsten und gegen die junge Generation fällten, die doch unser aller Zukunft sei. Die Alten blokierten die besten Posten in der Wirtschaft, die Alten gingen viel zu früh in Rente, die Alten gingen zu oft zum Arzt, liessen sich zu viele und zu teure Medikamente verschreiben, brauchten Brillen, Zahnersatz und verlangten , eine Unverschämtheit, da sie ja doch früher oder später sterben würden, noch im hohen Alter kostspielige Operationen.

 Die Jungen hingegen, bekämen keine Arbeitsstellen, müssten sich fürs Alter privat versichern und über das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung auch noch die nutzlosen Eltern unterhalten. Manch ein Prophet, den Supergau Demographie vor Augen, sah Deutschland verwaist, menschenleer, von den Jungen verlassen, von der überbordenden Last, die ihnen die Alten auferlegten, ins von pulsierendem Leben erfüllte Ausland vertrieben. Ganze Landstriche, der Osten sowieso, dem Wildwuchs der Natur und den wilden Tieren überlassen. Ja selbst die Rückkehr von Wolf, Bär und Lux, von rieseigen Herden Wisente und Wildpferden phantasierten diese Schwätzer herbei. Deutschland, so die Prophezeihungen höre spätestens um die nächste Jahrtausendwende auf zu existieren.

 Diese ganzen Lügengeschichten und Horrorszenarien hatten natürlich nur einen Zweck. Sie sollten ablenken von den wahren Gründen und den wahren Schuldigen für die schlechte Lage der öffentlichen Kassen. Sie sollten ablenken davon, dass eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben stattfand. Die Steuern für die Reichen wurden abgeschafft, wie die Vermögenssteuer, oder bis auf einen lächerlichen Restbetrag eingedampft, die Einkommensteuer von 58% auf 42%. Die Unternehmen mussten immer weniger in die einstmals paritätisch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanzierten sozialen Kassen, einzahlen. Die Kapitalertragssteuer wurde praktisch abgeschafft und die Unternehmenssteuern wurden dermassen zusammengestrichen, dass Unternehmen wie Siemens, Daimler Benz oder Allianz nicht nur keine Steuern mehr bezahlen mussten, sondern riesige Summen vom Finanzamt zurück erhielten.

 Im Gegenzug wurden die Verbrauchssteuern erhöht, die hauptsächlich die Geringverdiener treffen. Der Gang zum Arzt kostete nun zehn Euro Eintritt, die Medikamentenzuzahlungen wurden mehrfach angehoben, Studiengebühren eingeführt, Renten durch Rechentriricks so klein gerechnet, dass sie oftmals direkt in die Altersarmut führten, die Hartz-Gesetze verabschiedet, die arbeitslos gewordene Menschen nach einem Jahr entmündigten und der Sozialhilfe überliessen, Minjobs und ein-Eurojobs eingeführt und die Leiharbeit gewaltig ausgeweitet.

 Nun, da es den Leuten wieder ans Leder gehen soll, um die riesigen Summen aufzubringen, die von Zockern verspielt wurden und für die devote Politiker die Staatshaftung einführten, müssen wieder Schuldige für die miese Lage gefunden werden.

 Da hat der Spiegel einen seiner jung-dynamischen Zeilenschinder, David Böcking, ins Archiv geschickt, um dort einmal nachzusehen, was man denn vor knapp zehn Jahren alles so geschrieben habe. Der ist dann auch schnell fündig geworden und hat umgehend eine neue Front eröffnet. Jetzt geht es nicht mehr um Nord gegen Süd, Deutsche gegen Griechen, Italiener,  Spanier. Jetzt heisst es wieder Jung gegen Alt.

 Jung David legte auch gleich ordentlich los. Aus der Parole der spanischen Indignados "Que se vayan todos" - Alle sollen abhauen! formte Böckking durch die Zugabe von nur ein paar Buchstaben, die griffige Forderung: "Die Alten sollen abhauen!" Denn so wusste der Autor:“…in vieler Hinsicht ist die Euro-Krise ein Generationenkonflikt. Die satte Generation der Babyboomer, also der 50- und 60-Jährigen, lebt in den Krisenländern auf Kosten der Jugend.“

 Zu untermauern versuchte er seine Forderung nach dem Massenselbstmord aller über Fünfzigjährigen mit einer Veröffentlichung aus der Rankingschmiede in Gütersloh, der Bertelsmannstiftung von 2011. Die hatte nämlich herausgefunden: „Die Generationengerechtigkeit - gemessen unter anderem an der Höhe von direkten und versteckten Schulden und von Rentenansprüchen - ist in Südeuropa besonders gering.“ Wenn man noch die tägliche Ration von Haferschleim für die zahnlosen Alten einrechnet, dann wird das Bild noch schlimmer, hat man wohl vergessen.

 Böcking nimmt seine Aufgabe äusserst ernst. Damit es auch der dämlichste Spiegel online Leser auch begreift, wer wirklich Schuld und wer unschuldig ist an der Eurokrise schreibt er es noch mal klar und unverblümt nieder: „Es sind eben nicht nur Politiker und Banker schuld an der Krise. Weite Teile der älteren Generation waren Komplizen der taumelnden Systeme.“

 Siehste wohl, Banken und Politiker können gar nichts für die Krise, die Alten warens. Nicht die Zocker in den Banken, Versicherungen und Hedgefonds haben sich die Taschen vol gestopft, nicht die Politiker haben dabei tätige Mithilfe geleistet und die ausgeplünderten, leeren Hüllen der Finanzinstitute durch Milliarden von Steuergeldern gerettet. „In Griechenland gab es in fast jeder Familie einen Beamten, der vom aufgeblähten Staatsapparat profitierte. In Spanien haben Babyboomer massenweise Hypotheken aufgenommen und das Land so in die Schuldenkrise gestürzt.“

 Aber Böcking weiss Hilfe in der Not. Er hat in den alten Artikeln des Spiegels eine Lösung für unsere Probleme gefunden: „Dazu gehören unbequeme Arbeitsmarktreformen, welche die Privilegien der Älteren beschneiden.“ Klingt nicht nur alt, abgestanden und überaus dämlich, ist es auch. Und wo dummes Zeug erzählt wird, da ist das Ifo-Institut des ökonomische Geisterfahrers Hans-Werner Sinn nicht weit: „Auch in Deutschland werde die Einkommensverteilung zwischen den Generationen zur "Neuen Sozialen Frage", warnt eine aktuelle Analyse, die im "Schnelldienst" des Münchner Ifo-Instituts erschienen ist. Der Abstand zwischen den Einkommen von Jüngeren und Älteren müssen sich verringern. "Andernfalls steigt das Konfliktpotential."

Im Schlusssatz scheut Böcking, ein Vertreter der Generation Golf sich nicht, sogar die zutiefst verhassten 68er als Kronzeugen für seine kruden Thesen heranzuziehen: „Am Ende werden junge Europäer ihre Interessen eben doch selbst durchsetzen müssen. Vielleicht sollten sie dafür einen Slogan der 68er wiederbeleben: Traue keinem über 30!“

1 Kommentar:

  1. Diesem Beitrag kann ich uneingeschränkt zustimmen. Ich schäme mich gegenüber meinen 60jährigen Eltern und 85jährigen Großmüttern für solche abgrundtief dumpfen Hasstiraden von Leuten meines Alters, und ich gönne ihnen ihren erarbeiteten Wohlstand !!

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