Dienstag, 21. August 2012

Oh, du schöne neue Arbeitswelt

„Am Samstag gehört Vati uns.“ Das war der Slogan einer Kampagne in den 60er Jahren, mit der die Gewerkschaften die fünf-Tage-Woche erkämpften. Die deutsche Wirtschaft boomte und die immer höher werdende Produktivität machte es möglich die Arbeitszeiten zu verkürzen. In den achtziger Jahren dann, gab es grosse Arbeitskämpfe mit denen für grosse Teile der Arbeitnehmer die 35-Stunden-Woche erstritten wurde.

 Zumindest die Gewerkschaften hatten erkannt, dass die immer weiter wachsende Produktivität nicht dazu führen konnte, dass immer mehr Waren hergestellt und verkauft würden. So war es die logische Schussfolgerung aus der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit immer mehr produzierte, diese zu verkürzen. Die Arbeitszeitverkürzung sollte auch die immer stärker steigende Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitig wachsenden Gewinnen der Unternehmen bekämpfen. Die vorhanden Arbeit auf mehr Schulten verteilen, war das Motto.

 Nach der Wende drehte sich dann das Blatt schlagartig. Die Wirtschaft der DDR war auf die Marktwirtschaft nicht vorbereitet. Die Unternehmen und Fabriken der ehemaligen DDR waren denen Westdeutschlands hoffnungslos unterlegen. sie wurden vom Westen als Beutegut betrachtet, schnellstmöglich privatisiert, ausgeschlachtet und abgewickelt. Das Gebiet östlich der Elbe war für die deutsche Wirtschaft nichts weiter als ein riesiger Supermarkt mit unbegrenzten Absatzmöglichkeiten für ihre Fabriken in Westdeutschland.

 Die Ernüchterung kam schneller als die grössten Pessimisten geglaubt hatten. Die gesamte Wirtschaft der ehemaligen DDR implodierte. Ein gewaltiges Heer an gut ausgebildeten Arbeitskräften stand von heute auf morgen auf der Strasse.

 Das war die Stunde der neoliberalen Hardliner. Die Macht der Gewerkschaften, noch ein paar Jahre zuvor stark genug, die wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden herabzusetzen, war gebrochen. Das Millionenheer von Arbeitslosen machte es den Unternehmen leicht, mit dem Verweis auf drohende eigene Arbeitslosigkeit, ihren Beschäftigten immer neue Zugeständnisse abzuringen. Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, kostenlose Mehrarbeit durch unbezahlte Überstunden, Nachtarbeit, Samstags-, ja sogar Sonntagsarbeit ohne Aufschläge wurden den Arbeitnehmern abgepresst.

 Die Einführung der Hartz-Gesetze durch die Rot/Grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer wirkte das regelrecht als Brandbeschleuniger. Auch gut ausgebildete Fachkräfte konnten nun innerhalb eines Jahres in der Sozialhilfe, genannt Hartz IV, landen und ihre gesamten Persönlichkeitsrechte verlieren.

 Gleichzeitig wurde ein riesiges Heer an Leiharbeitskräften, Scheinselbstständigen (Ich AG) sowie Mini- und Midijobber geschaffen. Diese Arbeitskräfte, keineswegs nur ungebildet mit schlechter und unzureichender Berufsausbildung, waren flexibel einsetzbar. Praktisch auf Zuruf übernahmen sie an jeder Stelle der Republik zu jeder Zeit  Jobs, die zuvor von festangestellten, mit dezidierten Arbeitnehmerrechten ausgestatteten, Menschen besetzt waren. Eine moderne Form der Wanderarbeiter und Tagelöhner.

 Das Ergebnis dieses Rollbacks zu ungunsten der Arbeitnehmer gab jetzt das statistische Bundesamt bekannt. Allein in den letzten 15 Jahren, von 1996 bis 2011 stieg der Anteil der der Beschäftigten, die am Samstag arbeiten müssen von 18,8% auf 24,5%. Der Anteil der Nachtarbeiter stieg von 6,8% auf 9,6%. Die Wochenarbeitszeit der Vollbeschäftigten betrug 2011 40,7 Stunden und war somit 40 Minuten mehr, als noch 1996.

 Gleichzeitig stieg die Anzahl der Erkrankungen am Burn-Out-Syndrom in den Jahren von 1999 bis 2010 um 80%. 2006 erwuchs daraus der Volkswortschaft ein Schaden von 26,7 Milliarden Euro. Besonders häufig tritt die Krankheit in Berufen auf, die durch unregelmässige Arbeitszeiten und häufige Wochenend- und Nachtarbeit gekennzeichnet sind.

 Die Produktivität der Arbeitnehmer hat nicht ab-, sondern zugenommen und sie wächst weiter. Aber diese Zunahme hat sich für die arbeitende Bevölkerung weder in mehr Freizeit, noch in mehr Lebensqualität oder in mehr Lohn und Gehalt ausgezahlt. Der Mehrwert durch die höhere Produktivität haben die Besitzer des Kapitals unter sich aufgeteilt. Die grossen Vermögen sind in Deutschlandin in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Besaßen die reichsten 10% der Bevölkerung noch 2002 57,9% des Volksvermögens, so waren es nur fünf Jahre später, 2007 bereits 61,1%. Ein Beispiel: Das auf knapp 15 Milliarden Euro geschätzte Vermögen der Quandterbin Susanne Klatten wächst laut "Stern" täglich um 2,6 Millionen Euro.

Die Bundesrepublik hat sich in den letzten zwanzig Jahren um mindestens zwanzig Jahre zurückentwickelt. Die menschliche Arbeitskrsft ist zur billigen Verschiebemasse verkommen. Billig, flexibel, ungebunden, möglichst nicht über 30 Jahre alt aber mit 20 jähriger Berufspraxis in mehreren Berufen, so sieht der ideale Arbeitnehmer heute aus. Er sollte niemals krank werden und seine immer knapper werdende Freizeit ausschliesslich der beruflichen Fortbildung widmen. Ansonsten soll er fröhlich allen ihm angebotenen Mist konsumieren, sich selbst gegen Armut Krankheit und Alter versichern und gefälligst die Schnauze halten.

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