Wenn Steffen Dobbert seinen Laptop öffnet und einen neuen Bericht über die Demonstationen auf dem Kiewer Maidanplatz schreibt, dann ist er sich seiner Verantwortung vollends bewusst. Schliesslich schreibt er für das deutsche Qualitätswochenblatt „Die Zeit“ und die macht gerade Revolution in der Ukraine.
Da ist neben kämpferischer Entschlossenheit natürlich auch ein wenig literarisches Pathos gefordert: „Sie sind gekommen, um Millionen Schneeflocken auf ihre Köpfe fallen zu lassen und zuzuhören.“ Und Pathos fliesst weiter: „Unter dem Namen Euromaidan haben die Organisatoren auf den Steinplatten und dem Asphalt des Stadtzentrums eine Festung errichtet.“ Barrikaden werden aus „Weihnachtsschmuck“ errichtet und „Innerhalb der Blockaden“ steht neben hunderten „von Öfen gewärmte(n) Zelte(n), Grills, Sitzecken, Suppentöpfe groß wie Autoräder, eine Bühne, eine gewaltige Leinwand, das Unabhängigkeitsdenkmal“ wie das Wunder von Bethlehem „der riesige Weihnachtsbaum, vollgeklebt mit Revolutionsplakaten.“
Und in dieser wunderbaren Welt der Revolution, der Anarchie, die Dobbert der deutschen Spiesserseele näherbringt, indem er von einem Gang zur Post berichtet, bei der „man problemlos für 1,5 Cent ein Fax zum Präsidenten-Büro schicken“ kann, macht er immer wieder Menschen aus wie du und ich. Menschen mit einer Kurzvita und ohne Nachnahmen, so wie Wladimir.
Dobbert weiss: „Wladimir ist wütend. Deshalb hat er am Sonntagmorgen seine Armeestiefel und die Uniform noch einmal angezogen“. Wladimir „sitzt im Bus 231 ins Zentrum“ und er tut etwas, das uns Dobbert schildert, aber nicht erklärt. Er „beißt sich auf die Zähne“. Man hat schon von Menschen gehört, die sich auf die Zunge beissen um nichts ungewolltes auszusprechen, man kennt Menschen die auf ihren Fingernägeln herumkauen weil sie nervös sind oder einem inneren Selbstzerstörungsdrang nachgeben und auch der Ausdruck „Die Zähne zusammenbeissen“ ist bekannt als ein Synonym für mutig etwas anzugehen oder Schmerz zu ertragen.
Aber von alledem weiss Dobbert nichts zu berichten. Wladimir, den wir nun näher kennen lernen dürfen, „der ehemalige Offizier, der Ehemann, der Vater - er hat sich getäuscht“. Und nun berichtet Dobbert von dem schweren Schicksal des Wladimir, das ausgehend von einem Irrtum seinen Lauf nahm bis hierher, bis in diesen Bus 231. „Als er vor drei Jahren Janukowitsch als Präsidenten gewählt hat, wollte er Gerechtigkeit, Europa und Demokratie. Korruption, Verfassungsänderung und Anschluss an Russland habe er bekommen, sagt er, "eine Schande". Selbst seine Kinder hätten sich über ihn lustig gemacht, beim Frühstück hätten sie ihm Janukowitsch-Witze erzählt, sagt Wladimir. Aber er will es wieder gut machen."
Um seiner Kinder seiner Ehefrau Willen und um seine Ehre als ehemaliger Offizier wieder herzustellen „steigt er jetzt mit allen anderen aus, geht zum Maidan, die Revolution unterstützen.“
Wladimir ist aber nicht der einzige, den Dobbert uns persönlich näherbringt. Da ist zum Beispiel noch Nikolei. Nikolei macht aber keine Revolution auf dem „Euromaidan“ Nikolei ist auf der anderen, der dunklen Seite, hinter dem Gebäude des Ministerkabinetts. Bewacht „von großen Männern“ steht hier eine kleinere Bühne, ohne jegliche Bedeutung, die „höchstens im ukrainischen und russischen Staatsfernsehen“ auftaucht.
Dobbert hat sich aufgemacht zur dunklen Seite der Macht. „Bei der Einlasskontrolle dann eine Verzögerung. Nur "adäquate Leute" kommen hier rein, sagt der große Mann mit strenger Stimme.“ Zum glück hat Dobbert seinen Presseausweis dabei, denn „Ich werde erst adäquat, als ich meinen Presseausweis zeige.“
Dabei hat Dobbert noch Glück gehabt: „alle anderen mussten am Eingang ihr Lachen abgeben.“ Und irgendwie riecht es hier auch nach Vergangenheit, nach Friedhof, „Zweidrittel der Menschen sehen älter als 50 aus.“ Inmitten dieser alten Menschen, dem Grabe näher als der Wiege, denen man beim Einlass das Lachen geraubt hat, Nikolei. „Er ist seit heute früh hier, lacht auch nicht, spricht aber mehr als alle anderen.“
Dobbert wird gleich vertraut, duzt Nikolei: „Wieso gehst du nicht zum Unabhängigkeitsplatz, wenn dir das Demonstrieren so viel Spaß macht, die haben Tonnenfeuer?“ „Die Protestler am Unabhängigkeitsplatz sind verrückt, wegen des Weihnachtsbaums." „Wegen des Weihnachtsbaumes?“ „"Ja, die haben verhindert, dass er fertig aufgebaut wird. Das ist so schade. Der schöne Baum. Als ich ein kleines Kind war, habe ich jedes Jahr den Weihnachtsbaum dort sehen können. Was sollen die ganzen Kinder jetzt machen?"
Dobbert ist auf der Suche nach einem Beweis dafür, dass die Menschen ohne Lachen, Geld bekommen fürs demonstrieren, vor der kleinen Bühne, hinter dem Ministerkabinett. Er hat Glück: „Und dann treffe ich Jana, Veronika, Mascha und Alina. Die vier stehen hinter der Bühne, neben einem überfüllten Zelt mit Leuten, die frieren.“ Was ja logisch ist, immerhin haben sie ja kein „Tonnenfeuer“, wie die fröhlichen, lachenden Menschen auf dem „Euromaidan“.
Über eine „Liste im Internet haben sie auch von den Honoraren erfahren:
8 Uhr bis 17 Uhr = 160 Griwna (16 Euro)
8 Uhr bis 20 Uhr = 200 Griwna (20 Euro)“
Dobbert wendet sich mit Grauen: „Am Ausgang steht wieder ein großer Mann mit strenger Stimme“, „Sieht ganz schön voll aus hier, sage ich und frage, wie viele Leute gekommen sind? Er überlegt kurz und antwortet 20.000. Dann sagt ihm sein Kollege etwas in Ohr. Der große Mann mit strenger Stimme fragt, ob ich Journalist sei. Ich nicke. Er sagt: 1.000.000 Leute.“
Dobbert, man liest es aus jeder Zeile, aus jedem Wort, ist durch und durch Revolutionär, durchdrungen und belebt von der guten Sache. Da ist nur ein kleines Problem auf dem "Euromaidan" rund um die "Feuertonnen". Die meisten Aktivisten sind gar keine Demokraten, sondern ganz gewöhnliche Rechtsradikale, die im Handumdrehen und beklatscht von Dobbert und seinesgleichen, würden sie in Deutschland demonstrieren, von einer zehnfachen Menge von Gegendemonstranten umzingelt wären.
Der erfahrene Journalist aus Europa weiß, er muss seinen Lesern diese Ausgeburten des Terrors gegen Alle und Jeden, der nicht ihrer Meinung ist, der nicht ihrer "Rasse" angehört, den Daheimgebliebenen menschlich näher bringen, will er nicht, dass die Unterstützung in der Heimat für die gute, europäische Sache nachlässt.
So weiß er über Oleh Tjahnibok, den Chef der rechtsradikalen Partei Swoboda zu berichten: „Seine Stimme ist nach mehr als einer Woche des Aufstandes heiser, doch seine Parolen, die er mit geballter Faust auf die Massen loslässt, treffen die Menschen.“ Dobbert erhebt Tjahnibok, der gern schon mal allen Ernstes für die schlechte Lage seines Landes Juden und Homosexuelle verantwortlich macht, in den Rang eines Popstars: „Wenn er auf der Bühne ans Mikro tritt, flippen die meisten aus.“
Der Mann „fordert zum Weiterkämpfen auf und schwärmt dabei leidenschaftlich von Europa“ und dann klärt uns Dobbert auf: „Er (Tjahnibok) erfüllt eine wichtige Funktion im Projekt am Unabhängigkeitsplatz.“ Und „wenn nach seinen Reden Getränke und Brote verteilt werden und die nächste Rockband zu spielen beginnt,… dann ist offiziell keine Spur mehr vom Antisemitismus und Rassismus“. Dann ist nur noch „die Angst der meisten Ukrainer "vor der Moskauer Juden-Mafia, die heutzutage ihr Land regiert".
Nun könnte man sagen, es ist wie überall: Gebt dem Pöbel Brot und Spiele und er folgt euch bis in den Abgrund. Pöbel? Weit gefehlt. „Die gebildetsten, urbansten und viele europaorientierte Wähler“ haben, so will uns Dobbert glauben machen, haben die rechte Brut gewählt.
Und wieder einmal stellt uns Dobbert zwei Ukrainische Bürger vor. Diesmal heißen sie Tanja und Eugen. „Die ukrainische Sprache, Kultur, Geschichte und ihre Nationalhelden sind ihnen wichtig, zum Beispiel so einer wie Stepan Bandera.“ Der hat zwar nachweislich in der Zeit der deutschen Herrschaft über die Ukraine 100.000 Juden, Christen aber vor allen Dingen Polen umgebracht, aber alles nicht so schlimm. Bei Dobbert liest sich das dann so: „Bandera kämpfte im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit der Ukrainer mal mit und mal gegen die Deutschen.“ Merke: Wer gegen den Kreml kämpft, egal ob 1943 oder 2013, ist ein Freiheitsheld.
Bandera wurde nach der Orangenen Revolution zum „Helden der Ukraine“ ernannt. Aber Janukowitsch, der Anführer der Moskauer Juden-Mafia „nahm ihm diesen Titel wieder weg,“ was eine Frechheit war.
Man ist im Zweifel, ob man solche Leute wie Steffen Dobbert wirklich noch reinen Gewissens Journalisten nennen kann. Haben sie doch eher Ähnlichkeit mit Propagandisten, Manipulatoren und Hasspredigern vom Schlage eines Athur Schnitzlers vom „Schwarzen Kanal“ des ehemaligen DDR-Fernsehens. Dobbert berichtet nicht, auch wenn sein Geschreibe stilistisch einer Reportage gleicht. Dobbert aggitiert, er beeinflusst, manchmal mit dem Holzhammer, manchmal sachte und subtil.
Dabei ist ihm das Wohl der Menschen, über die er angeblich berichtet, gerade mal egal. Dobbert hat ein politisches Ziel vor Augen, er hat eine Mission zu erfüllen, dafür ist ihm jedes Mittel recht. Was unterscheidet Dobbert noch von den Schmierern in den staatseigenen Zeitungen totalitärer Staaten? Vielleicht, dass diejenigen ihre Lügen unter Zwang zu Papier bringen, Dobbert tut es freiwillig.
„Die Zeit“ allerdings muss sich langsam fragen lassen, ob sie noch unabhängige Wochenzeitung ist, oder Generalanzeiger der Berliner Regierungspolitik.
Alle Zitate aus "Die Zeit":
"Als die Nationalisten lenin köpften"
"So kauft sich Janukowitsch seine Demonstranten"
"Die Nationalisten als Revolutionstreiber"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen