Freitag, 27. Juli 2012

Die Opfer der "Geiz ist Geil" Gesellschaft

 Elf Prozent der deutschen Arbeitnehmer arbeiten für einen Stundenlohn von unter 8,50 €. Fast die Hälfte davon (46%) waren Minijobber oder auf 400 Euro-Basis Beschaftigte. Ein Drittel (33%) aber waren Vollzeitbeschäftigte. Weit über die Hälfte (60%), der zu einem Niedriglohn arbeitenden, waren Frauen.

  Mit der deutschen Einheit ist es immer noch nicht weit her. So ist in den alten Bundesländern die Gruppe der Minijobber ohne Berufsausbildung die grösste, während in den neuen Ländern die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten mit Berufsausbildung die stärkste Gruppe ist. Hierbei dürfte es sich vor allem um Personen handeln, die mit ihrem Hungerlohn ganze Familien ernähren müssen.

 Diese erschreckenden Zahlen gab das Statistische Bundesamt bekannt. Sie reflektieren zwar den Stand von 2010, aber an der Gesamtsituation dürfte sich in der Zwischenzeit nicht viel geändert haben.

 Zu dieser Gruppe der Niedriglöhner, kommt noch das riesige Heer der Scheinselbstständigen. Von den Unternehmen billig eingekaufte Arbeitskraft. Menschen die vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche bereitstehen, um dann wenn sie gerufen werden, umgehend zur Stelle zu sein.

 Da sind zum Beispiel die Mechaniker im Telekomunikationsbereich und bei den Kabalfernsehanbietern. Diese Menschen, meist bestens ausgebildet, sind zur Stelle, wenn es bei der Telecom, bei Kabel Deutschland oder Unitymedia Probleme mit den Hausanschlüssen gibt, oder wenn ein neuer Anschluss verlegt werden muss.  Es sind die Leute für den, sogenannten, letzten Meter. Sie müssen sich eigenes Werkzeug zulegen, vom Seitenschneider bis hin zu teuren elektronischen Prüfgeräten oder Spitzhacke und Schaufel, um gegenenfalls die Betonplatten des Bürgersteigs aufzunehmen, wenn es Probleme mit den Erdkabeln gibt. Sie müssen sich einen Kombi zulegen und von den spärlich bemessenen Pauschalabgeltungen für ihre Arbeit, auch noch Steuern und die eigene Sozialversicherung bezahlen. Dadurch, dass sie meist nur den gesetzlich verlangten Mindestbeitrag in die Rentenversicherung einzahlen können, sind sie sichere Kandidaten für das immer grösser werdende Heer der Altersarmen.

 Da sind die Paketzusteller, die pauschal für jedes zugestellte Paket mit einem lächerlich kleinem Betrag bezahlt werden. Ohne Zustellung kein Geld. Die Firma Hermes wirbt um Kunden mit der Zusage, dass in jedem Fall vier Zustellversuche gemacht werden. Da muss so eine arme Wurst viermal bei der gleichen Adresse versuchen ein Paket los zu werden, ehe er seine paar Cent Verdienst einstreichen kann. Letzte Woche habe ich beobachtet, wie ein Hermeszusteller am frühen Sonntagabend gegen 18 Uhr, dem Nachbarn ein Paket brachte. Auch bei diesen Zustellern gilt natürlich, eigenes Fahrzeug muss gestellt werden, vom Verdienst gehen noch Steuern und Sozialversicherungen ab.

 Da ist das riesige Heer der Fernfahrer, die von ihren Auftraggebern für Tage oder Wochen am Stück, kreuz und quer durch Europa geschickt werden. Sie bekommen ihre Orders per SMS. Sie wissen meist erst kurz bevor sie die eine Fracht abladen, wo sie die nächst aufnehmen und wohin sie sie bringen müssen. Die Zeiten für die Lieferungen sind äusserst knapp bemessen und müssen "Just in Time" ankommen. Steht ein Lastzug nicht zur vereinbarten Zeit bereit, um beim Empfäger an die Rampe zur Entladung zu rollen, so muss er im besten Falle einige Stunden warten, bis er entladen darf. Schlimmer ist es da schon, wenn dann die Annahme verweigert wird oder wenn, im Falle der Höchststrafe, der Fahrer gar eine Konventionalstrafe bezahlen muss. Die schönen modernen LKW, die wir auf der Autobahn überholen, mit den in riesigen Lettern aufgeklebten Namen der grossen Speditionen sind nicht etwa Eigentum dieser Firmen. Sie gehören irgendeiner Bank und der Fahrer schuftet für Zinsen und Tilgung.

 Bevor nun aber wieder das grosse Schimpfen auf die verantwortungslosen Unternehmer einsetzt, sollte jeder einmal in sich gehen. Unsere Gesellschaft will alles möglichst billig, am besten zum Nulltarif haben. Unzählige Internetportale, Verbraucherzeitschriften, sie alle veröffntlichen fortdauernd Rankings, wer welche Ware oder Dienstleistung am billigsten liefern kann. In einer Welt des Wettbewerbs, in der der Staat es ablehnt, feste Regeln und Vorschriften vorzugeben, versucht jedes Unternehmen sich einen Vorteil zu verschaffen, indem es Andere, Schwächere ausnutzt. Wir haben uns eine Schnäppchenmentalität zugelegt. "Geiz ist geil". Wenn wir aber alles möglichst billig oder zum Nulltarif haben wollen, dann muss es auch Menschen geben, die möglichst billig oder gar zum Nulltarif arbeiten.

 Vor nicht allzu langer Zeiz musste ich in einem Karstadt-Warenhaus die Toilette aufsuchen. Ich war nicht wenig erstaunt, als mich ein Schild darauf hinwies, das diese Toiletten gepachtet seien und das man deshalb dringend auf die fünzig Cent Benutzungsgebühr angewiesen sei. Die arme Frau, die die Toiletten, früher hießen sie Kundentoiletten und waren Dienst am Kunden, als freie Unternehmerin säuberte, musste natürlich für alle Reinigungsgeräte und Reinigungsmittel aus der eigenen Tasche aufkommen. Bemerkenswert fand ich auch, dass die arme Frau extra darauf hinwesen musste, dass sie von ihrer Tätigkeit leben muss. Anscheinend gibt es immer noch Schlaumeier, die versuchen sich die Dienstleistung einer Toilettenfau zu erschleichen. Der Grosse bescheisst im Grossen und der Kleine eben im Kleinen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen