Donnerstag, 16. August 2012

Mit Hartz IV in eine andere Republik

 Heute jährt sich zum zehnten Mal die Vorstellung der Vorschläge der Hartz-Kommission (Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) durch Peter Hartz und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder im Französischen Dom in Berlin. Was damals mit einem so harmlosen Titel daherkam und von Peter Hartz mit den Worten: „Heute ist ein schöner Tag für alle Arbeitslosen,“ angekündigt wurde, hat die Bundesrepublik grundlegend verändert.

 Aus einem Land, dessen führende Köpfe auf einen einigermassen wirksamen Interessenausgleich zwischen arm und reich, zwischen Sozialhilfe leistenden und Sozialhilfe empfangende, setzten, wurde ein Land des Sozialneides. Aber nicht diejenigen, die wenig bis gar nichts haben beneiden die besser gestellten, sondern jeder neided dem sozial unter ihm stehende das bisschen, das dem zum Leben bleibt. Der fest Angestellte sieht auf den Leiharbeiter herab, der Leiharbeiten auf den Minijobber, der Minjobber auf den Arbeitslosen, und der Arbeitslose auf Ausländer und Asylbewerber.

 Das Klima ist vergiftet. Aus Sozialneid und Hoffnungslosigkeit entsteht Hass auf alle, die anders sind. Braunes Gedankengut fällt auf fruchtbaren Boden. Es gibt heute schon Gemeinden, in denen die Nazis heimlich die Macht übernommen haben. Gemeinden, in denen sich niemand mehr traut seine Meinung öffentlich zu sagen. Es gibt Landstriche in denen Menschen mit südländischem Aussehen ganz offiziell geraten wird, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr das Haus zu verlassen, weil man für ihre körperliche Unversehrtheit nicht mehr garantieren kann.

 Schon während der Kohl-Ära wurden von konservativen Kräften, Unternehmern und weiten Teilen der Presse Sozialneid geschürt. immer wieder wurden ganze Menschengruppen als faul und arbeitsscheu hingestellt. Das Wort von der sozialen Hägematte kam auf und Kanzler Kohl selbst prägte den Begriff vom Freizeitpark Deutschland. Nach dem Anschluss der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik wurden durch den neoliberalen Privatisierungswahn unzählige Arbeitsplätze vernichtet. Jedem Betrüger, jedem Glücksritter wurden Firmen in der ehemaligen DDR übereignet. Vielfach wurden diese Firmen nur wegen ihres Immobilienbesitzes gekauft und nachdem man sie ausgeweidet hatte, regelrecht in den Konkurs getrieben.

 Von jetzt auf gleich wurden die Menschen zu zigtausenden arbeitslos. Gleichzeitig wurden die sozialen Kassen der alten Bundesrepublik geplündert um die danieder liegende Infrastruktur der östlichen Bundesländer zu erneuern. Nach zehn Jahren deutsche Einheit waren über vier Millionen Menschen arbeitslos und die öffentlichen Kassen ausgeraubt. Kohl war am Ende und wurde 1998 abgewählt.

 Vielleicht hatte Schröder sogar zu Anfang seiner Amtszeit wirklich vor, den Sozialstaat wieder zu stärken und auch die Reichen wieder an dessen Finanzierung zu beteiligen. Aber spätestens mit dem Ausscheiden von Finanzminister Oskar Lafontaine aus dem Kabinett Schröder war klar, dass es genau in die entgegengesetzte Richtung ging. Zahlreiche, so genannte, Initiaiven unter ihnen die bekannteste die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall mit jährlich mehreren Millionen Euro finanziert wird, gaben jetzt die Richtung vor. Es wurde liberalisiert, privatisiert, es wurden Steuern gesenkt, was das Zeug hielt.

 Sturmgeschütz der neoliberalen Verleumdungskampagnen war die Bildzeitung. Kein Tag verging an dem nicht von irgendeinem angeblichen Missbrauch der Sozialkassen berichtet wurde. Gleichzeitig wurden Horrorszenarien entworfen von einem impoldierenden Sozialsystem. Es wurden Gruppen kreiert und aufeinander gehetzt. Inhaber einer Stelle gegen Arbeitslose, Jugendliche gegen Rentner, Deutsche gegen zugewanderte Russen und Russen gegen Türken. Asylsuchende wurden zu Wirtschaftsflüchtlingen und Sozialhilfeempfänger zu Sozialschmarotzer.

 Die Bildzeitung wurde dabei tatkräftigst unterstützt von den privaten Fernsehanstalten eines Leo Kirch, Sat 1, Pro 7, Kabel und der Bertelsmanngruppe, RTL, RTL 2 und Vox. Ein regelrechtes Prekariatsfernsehen entstand. Den Menschen, die in ihren trostlosen Sozialwohnungssilos saßen, ohne Arbeit, ohne Zukunft, denen man eingeredet hatte sie seien die Verlierer, nicht fähig in einer Leistungsgesellschaft zu bestehen und zu nichts Nutze, brauchten Andere, die noch weiter unten standen, auf die sie herabblicken konnten.

 So entstanden die unsägliche Nachmittagstalkshows, in denen angeworbene Laiendarsteller, meist übergewichtig und möglichst unvorteilhaft gestylt, aufeinander einbrüllten, je mehr Schimpfworte, über die dann ein Piepton gelegt wurde und je vulgärer und beleidigender um so besser. Immer wieder traten Leute auf, die angeblich offen bekannten, sie hätten keine Lust zu arbeiten und der Staat sei verpflichtet für sie zu sorgen. So wurde Hass geschürt.

 Selbst ehemals liberale Zeitschrften , wie Spiegel und Stern, bogen sich jetzt die Tatsachen so zurecht um auf betont sachliche Art und Weise den Deutschen einzureden, dass es nicht so weiter gehen könne mit dem deutschen Sozialstaat, in dem jeder nur fordere, aber keiner mehr bereit sei, etwas zu leisten. Ein Volk von Drückebergern und Leistungsverweigerern.

 Ein Totschlagargument der damaligen Tage war die Globalisierung. Drohte eine der allabendlichen Talkshows der öffentlich rechtlichen Fernsehsender zu kippen und die bekannten Einpeitscher Hans-Olaf Henkel, Kurt Biedenkopf, Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft oder Altbundespräsident Roman Herzog, den Faden zu verlieren, dann wurde auf die Globaliaierung verwiesen und die Diskussion nahm den gewünschten Verlauf.

 Nach Einführung von Hartz IV drohte plötzlich Menschen die Armut, die sich wenige Jahre zuvor noch zu den Privilegierten zählten. Abteilungsleiter, Wissenschaftler, Betriebswirtschaftler, sie alle konnten jetzt innerhalb eines Jahres in die absolute Mittellosigkeit rutschen. Wurden sie arbeitslos und fanden nicht innerhalb eines Jahres einen neuen Job, so mussten sie erst ihr gesamtes Hab und Gut zu Geld machen und davon leben, bis sie eine Unterstützung vom Staat erhielten.

 Gleichzeitig wurden die Arbeitnehmer mit der Drohung von Minijobs und Leiharbeitsverhältnissen diszipiniert, da sie ja, einmal arbeitslos geworden, jede ihnen angebotene Arbeit annehmen mussten. Das erzeugte eine nie gekannte Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und der eigenen Würde. Die Gewerkschaften praktizierten klaglos Lohnverzicht, stimmten unbezahlten Überstunden zu, akzeptierten das Streichen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In einigen Haustarifverträgen wurde sogar auf Lohn verzichtet, nur um Arbeitsplätze zu erhalten.

 Immer mehr setzte sich eine Form der Gesellschaft durch, in der sich jeder selbst der Nächst ist. Die Welt wurde unterteilt nach Gewinnern und Verlierern. Der Begriff des Leistungsträgers machte die Runde. Wer Arbeit hatte Geld verdiente, wer sich etwas leisten konnte, der zählte zu den Gewinnern. Wohlstand und Reichtum waren ein Zeichen persönlichen Erfolgs, ganz egal wie und auf welche Art dieser erworben wurde. Zweifelhafte Unternehmer, schmarotzende alte Millionärswitwen und Zuhälter führten im Frensehen ganz ungeniert ihren dekadenten Lebensstil vor und wetterten gegen die arbeitscheuen Hartz IV Empfänger. Eines der beliebtesten Schimpfworte mit denen unliebsam Schüler heute in den Schulen gemobbt werden ist „Hartzer“.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen