Mittwoch, 27. Februar 2013

Italien: Wahl als Ausdruck eines in sich verfaulten politischen Systems?


 Italien hat gewählt und es hat den Eindruck, jedenfalls wenn man die Reaktionen der Politiker und der Presse betrachtet, als habe ein Staatsstreich stattgefunden. Man spricht von einem Patt zwischen dem mittelinks Bündnis und der Rechten um Silvio Berlusconi, von Unregierbarkeit und der Notwendigkeit von Neuwahlen. Dabei ist nichts anderes geschehen, als dass in den zwei Kammern des römischen Parlaments zwei unterschiedliche Mehrheiten zustande gekommen sind. Im Abgeordnetenhaus haben die eher linken Kräfte die Mehrheit und im Senat Berlusconi und seine Konservativen.

 Zwei Kammern hat auch das US-amerikanische Parlament, zwei Kammern mit unterschiedlichen Mehrheiten. Zwei Kammern mit unterschiedlichen Mehrheiten hat auch das deutsche Parlament, Bundestag und Bundesrat. Aber weder in Bezug auf die USA, noch nach dem Wechsel der Mehrheiten im deutschen Bundesrat nach der Niedersachsenwahl, hat auch nur eine Gazette oder ein Sender von Unregierbarkeit gesprochen.

 Man darf aber getrost davon ausgehen, dass es nicht die angebliche Unregierbarkeit ist, die unseren Politikern und Journalisten das größte Kopfzerbrechen bereitet, am Wahlausgang in Italien. Der Schock sitzt deshalb so tief, weil nach Griechenland, zum zweiten Mal, eine von der EU eingesetzte Regierung durch die Wähler abgestraft worden ist. Waren es in Griechenland im Mai letzten Jahres die zwei Parteien, die soziaistische Pasok und die konservative Nea Dimokratia, die den von der EU eingesetzten Loukas Papadimos unterstützt hatten, ihr Vertrauen entzogen, so schickten die Wähler in Italien, den von der EU eingesetzten Regierungschef Mario Monti in die Wüste. Und ebenso wie in Griechenland Alexis Tsipras von der Radikalen Linken (Syriza) wird nun auch in Italien der eigentliche Gewinner der Wahl, Beppo Grillo als Populist beschimpft.

 Als Populist wird jeder beschimpft, der mit der Austeritätspolitik der Europäischen Union nicht einverstanden ist, jeder der die Frage stellt, warum breite Kreise der Bevölkerung dafür, dass internationale Spekulanten bis zum letzten Cent aus Steuergeldern bedient werden, mit Hunger und Not bezahlen müssen? Und die Gefahr, dass diejenigen, die diese Frage stellen immer mehr werden, wird von Sparprogramm zu Sparprogramm grösser.

 Deshalb wird Angst verbreitet und es wird massiv gedroht. So meldete die 20.00 Uhr Tagesschau vom Dienstag: „In der EU wird das politische Patt mit Sorge gesehen. Befürchtet wird, dass sich die Eurokrise wieder verschärfen könnte“ und nach dem Ausdruck der grossen Besorgnis folgt die ultimative Forderung: „Die Kommission in Brüssel forderte, eine neue Regierung müsse den Spar- und Reformkurs fortsetzen“. Der durch keinen Parlamentsbeschluss, europaweit, legitimierte Sprecher der EU-Kommission  Oliver Bailly nahm mal gleich ganz Italien in Beugehaft: „ Je länger wir Reformen verschieben, um so höher wird die Rechnung für Italien, das müssen wir sehr deutlich sagen.“

 Die Tagesschau weiter: „Das wird auch in der Bundesregierung so gesehen“. Da mag auch die Bundesregierung nicht abseits stehen. Aussenminister Guido Westerwelle legte alle Diplomatie beiseite und drohte ganz unverhohlen: „Italien spielt eine zentrale Rolle in der Bewältigung der europäischen Schuldenkrise und deshalb setzen wir darauf dass die Politik der Konsolidierung und der Reformen von einer neuen Regierung konsequent fortgesetzt wird“.

 Finanzminister Schäuble legte noch ein Schäufelchen drauf und gab klare Handlungsanweisungen: "Es liegt nun an den politisch Verantwortlichen in Italien, aus diesem Wahlergebnis das zu machen, was das Land braucht – nämlich eine stabile Regierung, die den erfolgreichen Kurs der Reformen fortsetzt“, und die Kanzlerin fügte sybillinisch hinzu: "Italien wird seinen Weg finden.“ Warum klingt das nur immer so, als wenn Don Corleone aus dem Film der Pate sagt: „Ich habe dir ein Angebot zu machen dass du nicht ablehnen kannst!“

Massive Wählerbeschimpfung auch in der Presse. Die FAZ schreibt: „Die Hälfte der Italiener hat für Listen gestimmt, die aggressiv antieuropäisch auftraten. Das ist über Italien hinaus ein Alarmzeichen.“ Focus.de titelt „Die Volksverführer haben in Italien obsiegt", weiter geht es dann mit Wählerschelte: „Europas Presse reagiert empört auf das Resultat der italienischen Parlamentswahlen. Nationale Wahlen gingen ganz Europa etwas an, warnen die einen. Die anderen bescheinigen den Italienern politische Infantilität.“

 Und weil die Österreicher von Demokratie besonders viel Ahnung haben und diese seit hunderten von Jahren leben, fällt auch das österreichische Blatt „Die Presse" ein besonders profundes Urteil: „ …es (gemeint ist das Wahlergebnis) spiegelt in einer erschreckenden Klarheit die Missstände eines in sich verfaulten politischen Systems wider, das seit 1946 den Prozess in Richtung Demokratie nie richtig abgeschlossen hat“ Da helfen doch eigentlich nur noch Truppen, österreichische und deutsche, die kennen sich in Italien ja bestens aus.

 Demokratie als Schönwetterveranstaltung, Wählerwille als Ausdruck „eines in sich verfaulten Systems“.

 Sylvio Berlusconi ist garantiert kein verantwortungsbewusster Politiker und auch kein astreiner Demokrat. Aber Europa, und hier vor allen Dingen Deutschland, hat den vom Volk der Italiener in freier, geheimer Wahl bestimmten Regierungschef aus dem Amt gedrängt und den, eng mit der Finanzwelt verwobenen, Mario Monti als Ministerpräsident eingesetzt. Das haben die stolzen Italiener nicht vergessen. Ohne diesen Akt feindlicher Übernahme der Regierung durch die Europäische Union wäre Berlusconie längst Geschichte.

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