Mittwoch, 30. Oktober 2013

ZEIT Wirtschaftsforum - steuerabzugfähiges Netzwerken der Eliten


 In der Bibel bei Mathäus 21 Vers 12 und 13 heißt es : „Jesus ging in den Tempel und trieb alle Händler und Käufer aus dem Tempel hinaus; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und sagte: In der Schrift steht: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle.“ Anscheinend war der Religionsstifter der Meinung, dass sich die Lehre von einer gerechten, barmherzigen Kirche nicht mit Geldwechslern, Wucherern und Händlern in einem Hause Gottes vereinbaren ließ.

 Darüber denkt der Hauptpastor der evangelischen St. Michaeliskirche, von den Hamburgern liebevoll Michel genannt, Alexander Röder, ganz anders als der, dessen Wort er angeblich verkündet. Zum wiederholten Mal lässt er sein Gotteshaus zu einem Marktplatz der Eitelkeiten, der sinnentleerten Worte und der dreisten Lügen umfunktionieren. Am 7. November veranstaltet der ZEITverlag dort sein 5. ZEIT-Wirtschaftsforum. Nach Entrichtung eines Eintrittsgeldes von 1.130 Euro pro Nase hat der Besucher die Gelegenheit für einen halben Tag, ab 14.00 Uhr, neben einer einstündigen Kaffepause, einem fünfminütigem Orgelkonzert, einer noch einmal 45-minütigen Kaffeepause und ab 20.45 einem, in bestem Neudeutsch tituliertem, Get-together, „ die besten Denker und Macher aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“, wie ZEIT-Mitherausgeber Dr. Josef Joffe großspurig behauptet, bei ihrer eitlen Selbstdarstellung zu beobachten.

 Schaut man in das Programm, so erweist sich die kühne Behauptung Joffes: „Zentrales Anliegen bleibt es, dabei über Ethik und Verantwortung der Wirtschaft im globalen Maßstab nachzudenken und Eckpfeiler zu setzen“, bereits auf den ersten Blick als inhaltsleere Floskel. Vergleicht man nämlich die Rednerliste mit der Sponsorenliste, so ist festzustellen, dass der überwiegende Teil der Referenten aus der Wirtschaft sich schlicht und einfach einen Platz auf der Bühne erkauft haben. Ausserdem sind Ethik und Verantwortung doch für Teilnehmer, wie den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank, die in den USA wissentlich zigtausende von Menschen in den Ruin getrieben hat,  die durch ihre Spekulation mit Nahrungsmittel und Ackerland zum Hunger in der Welt nicht unwesentlich beiträgt, Paul Achleitner, und den Vorsitzenden der Geschäftsleitung der Deutschen Shell Holding, deren Muttergesellschaft im Mündungsdelta des Niger ganze Landstriche mit Öl verseucht und den Tod tausender von Kinder und Erwachsenen zu verantworten hat, Peter Blauwhoff, absolute Fremdwörter.

  •  Als Premiumpartner wird die TUI von der ZEIT präsentiert und siehe da: Friedrich Joussen der Vorstandsvorsitzende der TUI ist der Sprecher der ersten "Keynote", gleich um 14.15 Uhr und Teilnehmer der ersten Diskussionsrunde: Die unterschätzte Industrie – Bedeutung der Tourismusbranche. 
 Wer übrigens des Neudeutschen nicht ganz mächtig ist, hier die Erklärung des Wortes Keynote kopiert aus Wikipedia: Eine Keynote (engl. für „Grundgedanke“; auch „keynote address“, „keynote speech“) bezeichnet einen herausragend präsentierten Vortrag eines prominenten Redners. Häufig handelt es sich dabei um die Eröffnungsrede einer Tagung. Die Keynote nimmt die wichtigsten Themen der Tagung oder Messe vorweg. Sofern die Tagung medienwirksam Markantes bietet, wird dies in der Keynote eingeführt und vorgestellt. 
  •  Die zweite „Keynote“ ist dann für Stefan Grützmacher, Vorstandsvorsitzender der Berliner GASAG AG. Und siehe da: Die GASAG taucht dann wieder bei den sogenannten Partnern auf. Sie beschreibt sich selbst. „Die GASAG Berliner Gaswer- ke AG ist als traditioneller Versorger der Hauptstadt der größte urbane Gasversorger Mitteleuropas. Darüber hinaus betreibt die GASAG rund 13.600 Kilometer Gasnetz in Berlin und weiten Teilen Brandenburgs und hält rund 200 kommunale Gasnetz-Konzessionen.“
  Dabei ist die GASAG zu hundert Prozent in den Händen internationaler Energiemultis. Zu fast gleichen Teilen sind die E.ON Energy Sales GmbH, die französische GDF Suez Beteiligungsgesellschaft und die schwedische Vattenfall GmbH Eigentümer der GASAG. Einen traurigen Ruf erlangte die GASAG, die einstmals im Besitz der Stadt Berlin war, als sie im Rahmen der Privatisierung in den 90er Jahren die Anzahl ihrer Arbeitnehmer halbierte über 2.400 Arbeitnehmer auf die Straße setzte.
  •  Thomas Winkelmann ist Vorstandsvorsitzender von Germanwings und als solcher darf er einen zwanzig-minütigen Vortrag, Thema unbekannt, halten. Natürlich hat auch Thomas Winkelmann sich auf Kosten von Germanwings diese prominente Alleinstellung auf dem Wirtschaftsforum erkauft. Germanwings wird von der Zeit ebenfalls als Partner genannt. 
  •  Dritter „Partner“ ist die Deutsche Bank. Für deren Vertreter, den Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Dr. Paul Achleitner, hat Die Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.30 30 Minuten für ein Gespräch mit dem Leiter ihres Hauptstadtstudios und oberneoliberalen Marc Brost reserviert.
 Alle anderen, so großartig angekündigten „besten Denker und Macher aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ müssen sich mit einem Platz auf der Bühne in Diskussionsrunden in einem Zeitrahmen zwischen 30 und 45 Miinuten zufriedengeben. Das gilt selbst für Dr. Peter Blauwhoff, Vorsitzender der Geschäftsführung, Deutsche Shell Holding GmbH und Shell Deutschland Oil GmbH. Dieses, obwohl die Shell unter der Rubrik Förderer, gemeinsam mit der British American Tobacco, der Edeka und VW von der ZEIT geführt wird, und für diese Erwähnung sicherlich einen erklecklichen Betrag überwiesen hat.

 Wer sind jetzt diese "besten Denker und Macher aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft"? Bei eingehender Betrachtung der Referentenliste macht sich Enttäuschung breit. Ausser den üblichen Verdächtigen, die uns mindestens einmal die Woche mittels irgendeiner der zahlreichen Talkshows im Fernsehen die gute Laune im eigenen Wohnzimmer vergraulen, ist der personelle Einsatz eher Reservebank, wenn nicht sogar Tribüne, anstatt Superstürmer.

 An der vierzig-minütigen Diskussionsrunde unter dem, die Menschheit angesichts Wirtschaftskrise, dem Problem der Flucht von Millionen von Menschen aus dem bettelarmen Süden in den unendlich reichen Norden dieser Erde, oder dem nicht enden wollenden Morden in Syrien, Afghanistan, Somalia, dem Irak und vielen andern Ländern, dem Hunger und dem ungebremsten Ausbeuten der Ressourcen der Erde, brennend interessierenden Thema "DIE UNTERSCHÄTZTE INDUSTRIE – BEDEUTUNG DER TOURISMUSBRANCHE", nehmen ausser dem bereits erwähnten Friedrich Joussen noch
Otto Lindner,
Vorstand, Lindner Hotels AG 
Prof. Dr. Martin Lohmann,
Geschäftsführer, NIT-Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa
teil. Moderiert wird die Dikussion von Dietmar Deffner. Deffner ist Leiter der Wirtschaftsredaktion des von der Zeit als Medienpartner aufgeführte Privatsender N24. Der andere Medienpartner ist im Übrigen der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk, was wohl bedeutet, dass auch Rundfunkgebühren in die weit geöffneten Taschen der ZEIT fliessen.

 Von 16.30 bis 17.00 Findet dann ein "Streitgespräch" mit unbekanntem Thema statt. Teilnehmer ausser der Moderatorin Elisabeth Niejahr, aus der Hauptstadtredaktion der ZEIT, sind:
Winfried Kretschmann,
Ministerpräsident, Baden-Württemberg und 
Günther H. Oettinger,
EU-Kommissar für Energie.
 Wer die Sprechgeschwindigkeit, besonders des grünen Baden-Württembrgischen Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann kennt, der muss befürchten, dass eine halbe Stunde nicht ausreichen werden, alle drei Teilnehmer dieser Runde wenigstens einmal zu Wort kommen zu lassen.

 45 Minuten nehmen sich die Teilnehmer der Dikussionsrunde "ENERGIEWENDE – BEISPIELGEBENDE REVOLUTION ODER ÖKONOMISCHE GEISTERFAHRT?" Zeit. In diesen 45 Minuten äussern sich die bereits erwähnten Dr. Peter Blauwoff von der Shell und Stefan Grützmacher von der GASAG, die sich in die Diskussionsrunde eingekauft haben und die reine Interessenvertreter sind, nehemen unter der Moderation von
Klemens Kindermann,
Abteilungsleiter Wirtschaft und Gesellschaft, Deutschlandfunk, 
Christian Lindner,
Vorsitzender der Landtagsfraktion und des Landesverbandes NEW der FDP
und als einzige, wirklich weitgehend unabhängige Sachverständige dieser Runde
Claudia Kemfert,
Abteilungsleiterin Energie, Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
 Die einzigen Schwergewichte der Veranstaltung sind
Dr. Wolfgang Schäuble,
Bundesfinanzminister,
der einen dreissigminütigen Vortrag hält, dessen Thema ebenfalls nicht genannt wird und

Mario Draghi,
Präsident, Europäischen Zentralbank, sowie 
Helmut Schmidt
Bundeskanzler a. D.; Herausgeber, DIE ZEIT
die unter der Moderation von Dr. Uwe Jean Heuser, Ressortleiter Wirtschaft bei der ZEIT, ein, wie es lapidar im Programm des Veranstalters heisst, Gespräch führen.

 Was, so fragt sich der normal Sterbliche veranlasst Menschen dazu 1.130 Euro Eintritt zu bezahlen, für eine sechs-dreiviertel Stunden dauernde Veranstaltung, noch dazu auf harten unbequemen Kirchenbänken? Rechnet man noch die fünfzehnminütige Begrüssung durch den Geschäftsführer der ZEIT-Verlagsgruppe Dr. Rainer Esser und die zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Dorothee Stapelfeldt, die zweite, zehnminütige Begrüßung um 18.00 Uhr durch den Hausherrn des Michel, Alexander Röder, nebst einem fünfminütigem Orgelkonzern und die zwei Kaffepausen von zusammen ein-dreiviertel Stunden ab, so bleiben lediglich viereinhalb Stunden Programm übrig. Ein Programm bei dessen neun Programmpunkten lediglich zwei ein fest umrissenes Thema haben.

 Das ZEIT-Wirtschaftsforum ist eine Veranstaltung, die sich eindeutig an unsere Eliten wendet. Wer sonst kann sich den horrenden Eintrittspreis leisten? Die Veranstalter scheinen auch keinesfalls den Ehrgeiz gehabt zu haben, dringenden Sachproblemen durch ihr Forum neue Argumente hinzuzufügen oder wie es Mitherausgeber Josef Joffe ausdrückt, ein "Vexierbild zu entzerren, das Langfristige vom Konjunkturzyklus zu trennen, die Triebkräfte des stabilen Wachstums zu erkennen", um dann, geradezu philosophisch fortzufahren, "vom Warum zum Wohin führen".

 Die ganze Veranstaltung dient einzig und allein der vermögenden Oberschicht um ihre Netzwerke auszubauen. Um das aber steuerbegünstigt tun zu können, muss die Veranstaltung ein Programm haben, um als Fortbildung vom Finanzamt anerkannt zu werden. Ein-dreiviertel Stunden Pause bei einer Gesamtdauer von etwas über sechs Stunden, danach das "Get-together", lassen nur diesen einen Schluss zu. Netzwerken, sicher nicht zum Vorteil der Bevölkerung, steuerlich absetzbar, veranstaltet von Deutschlands größter Wochenzeitung, in einem evangelischen Gotteshaus: Man muss nicht unbedingt Verschwörungstheoretiker sein, um sich hier als einfacher Bürger verschaukelt vorzukommen.

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